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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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beugte sich über das Geländer, um in den etwa zwei Meter breiten, von Schilf umsäumten Fluß zu sehen, dessen klares, sprudelndes Wasser unter dem dunklen Bogen der Brücke verschwand. Der obere Teil der Brücke bestand aus einer modernen Betonkonstruktion, in die man das alte Geländer aus Naturstein eingepaßt hatte. Die Fundamente stammten aus früheren Zeiten. Es ist allerdings nie untersucht worden, ob es noch jene Steine sind, aus denen Hendrik van Grunten einst die Brücke errichten ließ. Auf jeden Fall geht der Bau dieser sowie der zweiten Brücke am anderen Ende des Dorfes auf ihn zurück. Vorher hatte es eine nur im Sommer gut passierbare Furt in der Herzensach gegeben. Die Landstraße nach Weinstein führte ursprünglich nicht durch Herzensach, sondern über den Heidberg. Hendrik van Gruntens Brücken- und Straßenbau sorgte für eine kürzere und bequemere Strecke. Er ließ sich von den Kaufleuten die Durchfahrt bezahlen. Zwar führte er selbst nie darüber Buch, aber aus alten Handelsabrechnungen, die heute im Archiv des Weinsteiner Heimatmuseums liegen, gehen diese Abgaben hervor. Es gibt sogar einen Brief des damals bedeutenden Handelsherrn Farianus, in dem er die Machenschaften Hendrik van Gruntens anprangerte, beispielsweise nicht nur bei der ersten Brücke einen Wegzoll zu kassieren, sondern auch bei der zweiten: »... so ist bei allen befahrenen Wegen Hendericus van Gruntens doppelter Wegzoll als etwas Räuberisches, den privilegierten Ständen dem einfachen Handelsmann gegenüber kaum Würdiges anzusehen, das bei entsprechend höherer Amtsstelle einmal von uns eingeklagt werden sollte ...«
    Wegen der schönen Handschrift und des guterhaltenen, verzierten Siegels ist dieser Brief im Weinsteiner Heimatmuseum in einer Vitrine ausgestellt. (Nur deshalb!)
    Jakob glaubte, in dem Wasser des Flusses einen langen silberglänzenden Fisch zu sehen. Er blickte auf. Das Mädchen war, wie er es gehofft hatte, ebenfalls stehengeblieben, um über die Brüstung zu schauen.
    »Fisch?«
    »Möglich.«
    »Sie wissen nicht, was für ein Sternbild Sie haben?«
    Sie lachte zum ersten Mal.
    »Was ist eigentlich so gefährlich an mir?«
    »Sie sind ein Mann.« Es schien ihr als Erklärung ausreichend.
    »Das tut mir leid.«
    »Sollte es auch.«
    Der Hund war herangekommen und blieb jetzt an ihrer Seite. Sie schritt wieder schneller voran.
    »Und als Hund? Würden Sie mich akzeptieren?«
    »Hunde tun, was ich will.«
    »Dachte ich mir.«
    Die Straße machte eine Biegung nach links, gabelte sich. Eine Abzweigung führte zu dem sieben Kilometer entfernten Ehrenfelde. Der zweite, nach links zeigende Wegweiser war zerkratzt und übermalt. Jakob rekonstruierte das Wort »Herzensach«. Am Ende der Kurve reckte sich ein Kirchturm über hohe, ausladende Bäume, und zwischen Fliederbüschen wurden alte Fachwerkhäuser sichtbar. Und ihm kam der verlockende Gedanke vom einfachen und ruhigen Landleben.
    »Wo kann ich telefonieren?«
    Sie wies auf das erste Gehöft auf der linken Seite und blieb stehen. Es war offensichtlich, daß sie ihn nicht weiter führen wollte.
    Jakob bedankte sich, fragte noch einmal, ob er nicht doch eine Postkarte schreiben solle. Sie schüttelte den Kopf. Auch andere Vorschläge, ihr seine Dankbarkeit zu beweisen oder sie wiederzutreffen, führten bei ihr nur zu zusammengepreßten Lippen. Er hatte keine Chance. Nicht einmal ihren Namen hatte er herausbekommen. Schließlich bog sie ohne Gruß auf einen Feldweg ab. Nur der Hund sah sich noch einmal um.

2
    Unter den Bauern von Herzensach herrschte überwiegend die Meinung, Doktor Bernhard Andrees rechtes Ohr sei wesentlich größer als sein linkes. Zweifellos entsprang diese Beurteilung der Angewohnheit des Arztes, seine Patienten nicht anzusehen, sondern den Kopf nach links zum Fenster der Praxis zu drehen, den Besuchern auf der anderen Seite seines Schreibtisches also, wie bei einer Beichte, das rechte Ohr zu leihen.
    »Und welcher Art sind die Schmerzen?« fragte er. Der Blick aus seinem Fenster ging geradewegs auf den kleinen Laden von Dorothee Wischberg auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Frau des Wirtes hatte den ursprünglichen Zeitungskiosk mit der Lottoannahmestelle nach und nach vergrößert und zu einem kleinen Lebensmittelgeschäft ausgebaut.
    »So gelb mit einem Stich ins Bläuliche«, gab der Bauer zur Antwort.
    »Was?« fragte Doktor Bernhard Andree, ohne seinen Patienten anzusehen.
    »Die Schmerzen«, sagte der Bauer.
    Der

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