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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Internist hielt sich weder für einen guten noch für einen schlechten Arzt. Was ihn auszeichnete, war seine Geduld mit den Patienten und entsprechend die Zeit, die er jedem von ihnen widmete, mehr, als er in der Regel den Krankenkassen in Rechnung stellen konnte.
    Vor fünfzehn Jahren hatte er dem Drängen seiner Frau nachgegeben, die wissenschaftliche Laufbahn aufzugeben und die Landarztpraxis zu übernehmen. Dabei waren seine Forschungen an der Universitätsklinik zur Technik des Verschließens von Operationsöffnungen hoch gelobt worden. Nach seinem Weggang triumphierten seine Gegner. Ein unbegabter Kollege führte seine Testreihen fort und stellte sie bald als erfolglos ein.
    Doktor Bernhard Andree wäre aufgrund seiner geringen finanziellen Mittel kaum der Gedanke gekommen, sich selbständig zu machen, doch seine Frau Heidelinde, Tochter des Brauereibesitzers Wulf, hatte aus ihrem Erbe alle Kosten für die Übernahme der Praxis in Herzensach bestritten. Seine Frau wurde dabei weniger von dem Idyll einer Landarztpraxis geleitet, sondern mehr von der Sehnsucht, an den Ort ihrer Geburt und Kindheit zurückzukehren. Gleichzeitig wollte sie den Motiven ihrer Bilder näher sein. Schon vor ihrer Eheschließung hatte sie in jeder freien Minute nichts anderes im Sinn, als Landschaften zu malen.
    Am Anfang ihrer Beziehung wetteiferten der Wissenschaftler und die Künstlerin noch um öffentliches Interesse und Ruhm miteinander. Obwohl sie beide erfolglos blieben, hatte Bernhard Andree in diesen wenigen Jahren durch Ausbreiten der Arme fliegen können. Es war ganz einfach gewesen. Aber es machte blind und taub. Deshalb war er auf eine harte Landung nicht vorbereitet. Seine Frau wurde schwanger. Seine Ängste begannen. Er wollte kein weiteres Kind. Sie gebar eine zweite Tochter. Seine Furcht vor Frauen wurde zur Furcht vor fast allen Menschen.
    Mit vierundvierzig Jahren war Bernhard Andree als Landarzt am Ende seiner beruflichen Möglichkeiten angelangt, die zu Beginn seiner Laufbahn angestrebte Professur nicht mehr zu erreichen; aber da war noch das Labor im Keller des Hauses, schon vom Vorgänger eingerichtet, in das er sich fast täglich einschloß, um seine streng wissenschaftliche Arbeit fortzuführen. Eines Tages würde er die Fachwelt überraschen. Doch wann, das stand dahin. Niemand wußte, was er im Keller tat. Niemand durfte ins Labor. Seine Frau ließ ihn gewähren, bedrängte ihn nicht, Auskunft zu geben. Das Eheleben der beiden war von beständiger gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt. Man ging sich aus dem Weg.
    »Und wann treten diese Schmerzen auf?«
    »Das ist es ja: immer nur montags morgens.«
    Doktor Bernhard Andree nahm im rechts vom Lebensmittelladen liegenden Gasthaus »Herzensfrische« eine Bewegung wahr. Ein Fenster wurde geöffnet, doch niemand zeigte sich. Der Gedanke, den Gasthof betreten zu müssen, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er drehte den Kopf in die andere Richtung, bis er die Tischlerei von Thomas Timber sehen konnte. Die beiden Gesellen standen rauchend vor der großen geöffneten Werkstattür, nutzten die Abwesenheit ihres Chefs für eine zusätzliche Pause. Der Arzt hatte den Tischler vor rund einer Stunde zu Fuß weggehen sehen, wahrscheinlich um in amtlicher Eigenschaft als Bürgermeister einen Besuch bei einem Bauern zu machen. Kurz darauf war auch seine Pflegetochter Katharina Freitag aus der Tischlerwerkstatt gekommen, in der sie vormittags die Büroarbeiten erledigte, diesmal aber wohl wesentlich länger zu tun gehabt hatte. Doktor Bernhard Andree hatte seine eigenen Ansichten über die regelmäßige Verwandlung Katharinas von der Bürokraft mit Rock und Bluse in die burschikos und nachlässig gekleidete nachmittägliche Wanderin. Eine Wandlung, die andere sich damit erklärten, daß sie abseits der Wege ging und dabei kein Dornengestrüpp scheute. Für den Arzt war sie ein geradezu klassischer Fall: Selbst aus einer verbotenen Beziehung entsprungen, konnte sie ihre eigene Sexualität nicht akzeptieren. Nun, er hatte ihr, zweifellos auf ungewöhnliche Weise, geholfen, den Konflikt zu bewältigen.
    Der Arzt nickte seinem Patienten zu. »Soso, montags?« Er räusperte sich. »Vielleicht sollten Sie montags morgens im Bett bleiben«, sagte er scherzhaft. Trotz mancher Versuchung, wie sein Vorgänger und andere Landärzte mit den bäuerlichen Patienten im vertraulichen Du zu verkehren, hatte er bewußt das Sie aufrechterhalten. Der mit dieser Distanz verbundene Respekt

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