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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Gerücht, er sei gestorben. Aber das stimmt nicht. Er ist am Leben. Wenn auch immer noch in psychiatrischer Obhut.»
    «Damit ist meine Frage wohl beantwortet.»
    «Die nach Nijinsky?»
    «Die nach meiner Frau.»
    In der letzten Zeit hatte ich Dr.   Bublitz kaum zu Gesicht bekommen. Meistens saß ich bei Kirsten und kämmte ihr Haar, und manchmal zündete ich ihr eine Zigarette an und steckte sie ihr in den Mundwinkel, wo sie ungeraucht steckenblieb, bis ich sie wieder herausnahm. Wenn ihr der Rauch in die Augen stieg, blinzelte sie manchmal. Das war das einzige Lebenszeichen, das sie je von sich gab, nur deshalb tat ich das Ganze. An anderen Tagen las ich ihr die Zeitung oder ein Buch vor, und ein-, zweimal putzte ich ihr sogar die Zähne, weil sie so aus dem Mund roch. Diesmal erzählte ich ihr, welche Pläne ich für das Hotel und für mich hatte.
    «Ich muss irgendwas mit meinem Leben anfangen», sagte ich. «Ich kann nicht länger im Hotel bleiben. Sonst lande ich auch noch hier. Deshalb werde ich nachher zu eurem Anwalt gehen und das Hotel zum Verkauf anbieten lassen. Dann werde ich bei Herrn Kohl von der Wechselbank auf den Erlös einen kleinen Kredit aufnehmen, damit ich mir eine eigene Existenz aufbauen kann. Als Privatdetektiv natürlich. Ich habe keinerlei Talent zum Hotelier. Ermittlungsarbeit ist das Einzige, was ich kann. Ich werde mir ein Büro und eine kleine Wohnung hier in Schwabing nehmen, damit ich in deiner Nähe bin. Weißt du, dieser Teil von München erinnert mich immer ein bisschen an Berlin. Und billig ist es hier auch. Wegen der Bombenschäden. Irgendwo in der Nähe der Wagmüllerstraße, am südlichen Ende der Englischerstraße, das wäre ideal. Das bayerische Rote Kreuz hat dort seinen Sitz, und jeder, der eine vermisste Person sucht, geht da zuerst hin. Ich glaube, man kann ganz anständig verdienen, wenn man sich auf dieses Gebiet spezialisiert.»
    Ich hatte nicht angenommen, dass Kirsten irgendetwas dazu sagen würde, und in diesem Punkt enttäuschte sie mich tatsächlich nicht. Sie starrte auf den Fußboden, als wäre meine Neuigkeit das Deprimierendste, was sie seit Monaten gehört hatte. Als wäre es die größtmögliche geschäftliche Fehlentscheidung, ein kurz vor dem Bankrott stehendes Hotel in Dachau zu verkaufen. Ich nahm ihre Zigarette, steckte sie mir in den Mund und zog daran, ehe ich sie an meiner Schuhsohle ausdrückte und die Kippe in meiner Jacketttasche verschwinden ließ – das Zimmer war ohnehin dreckig genug.
    «In Deutschland gibt es jede Menge Vermisste», setzte ich hinzu. «Genau wie unter den Nazis.» Ich schüttelte den Kopf. «Aber in Dachau kann ich nicht bleiben. Nicht allein. Davon habe ich für immer genug. So wie ich mich im Moment fühle, müsste ich hier drinnen sitzen, nicht du.»
    Ich zuckte zusammen, als eine der anderen Frauen ein kreischendes Lachen von sich gab. Dazu stellte sie sich vor die Wand und blieb für den Rest meines Besuchs so stehen, dabei schaukelte sie mit dem Oberkörper zur Wand hin wie ein alter Rabbi. Vielleicht wusste sie ja irgendetwas, was mir verborgen war. Es heißt ja, Wahnsinn sei nur die Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen. Und wenn wir das könnten, würden wir wahrscheinlich alle schreien.

3
    Ich brauchte einen Entnazifizierungsbescheid vom Innenministerium. Da ich nie in der Partei gewesen war, stellte das kein größeres Problem dar. Im Polizeipräsidium in der Ettstraße (wo ich den Bescheid gegenzeichnen lassen musste) gab es eine Menge Bullen, die bei der SS gewesen waren, von den ehemaligen Gestapo- und SD-Leuten ganz zu schweigen. Zu meinem Vorteil hielten die Besatzungsbehörden eine von Amts wegen erfolgte Versetzung von der Kripo oder der Ordnungspolizei zu einer dieser Naziinstitutionen nicht für einen Grund, jemanden vom Polizeidienst in der frischgebackenen Bundesrepublik Deutschland auszuschließen. Echte Probleme hatten nur die jungen Männer, deren Werdegang bei der SS, der Gestapo oder dem SD begonnen hatte. Doch selbst da gab es Mittel und Wege, das Befreiungsgesetz von 1946 zu umgehen, denn wenn es so streng ausgelegt worden wäre, wie gedacht, hätte es jetzt in Deutschland gar keine Polizisten gegeben. Ein guter Polizist ist ein guter Polizist, Nazischwein hin oder her.
    Ich fand ein kleines Büro in der Galeriestraße, die von der Wagmüllerstraße nach Westen abzweigte. Es schien genau das, was ich gesucht hatte. Gegenüber war ein kleines Postamt, und darunter befand sich eine

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