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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Geschäftswelt grassierten. Mir war das nur recht. Ich hatte es nicht so mit Höflichkeiten. Nicht, seit ich in russischer Gefangenschaft gewesen war. Außerdem hatte ich es eilig, selbst ins Geschäft zu kommen.
    «Ich möchte, dass Sie einen amerikanischen Soldaten befragen», sagte Kaufmann. «Einen Hauptgefreiten. Dritte Armee. Sein Name ist John Ivanov. Er ist Gefangenenwärter im Kriegsverbrechergefängnis eins. Sie wissen, wo das ist?»
    «Landsberg, nehme ich an.»
    «Richtig. Ebendort. Landsberg. Nehmen Sie ihn unter die Lupe, Gunther. Kriegen Sie heraus, was für ein Mensch er ist. Verlässlich oder nicht. Ehrlich oder nicht. Opportunist oder Idealist. Ich gehe davon aus, dass Sie strengste Vertraulichkeit wahren, was Ihre Aufträge angeht.»
    «Natürlich», sagte ich. «Ich könnte nicht verschwiegener sein, selbst wenn ich Rudolf Hess wäre.»
    «Dann erkläre ich Ihnen jetzt in aller Vertraulichkeit, dass der Hauptgefreite Ivanov gewisse Anschuldigungen bezüglich der Behandlung der Rotjacken erhebt. Und dass er zudem behauptet, bei den Hinrichtungen sogenannter Kriegsverbrecher im Juni letzten Jahres habe der Henker absichtlich gepfuscht, damit der Todeskampf der Männer länger dauerte. Ich gebe Ihnen eine Adresse, unter der Sie Ivanov erreichen.» Er schraubte einen goldenen Füller auf und schrieb etwas auf einen Block. «Übrigens, was Ihre Bemerkung über Hess betrifft. Ich habe keinen Humor, Herr Gunther. Der wurde mir von den Nazis ausgeprügelt. Und zwar buchstäblich.»
    «Mit meinem Humor ist es, ehrlich gesagt, auch nicht so weit her», sagte ich. «Mir haben ihn die Russen ausgeprügelt. Also wissen Sie, dass es kein Scherz ist, wenn ich Ihnen sage, mein Honorar beträgt zehn Mark pro Tag plus Spesen. Zwei Tageshonorare im Voraus.»
    Er zuckte nicht mit der Wimper. Wahrscheinlich hatten die Nazis auch dafür gesorgt, dass er nicht mehr zu schockieren war. Aber für mich war das ein Indiz, dass ich meinen Preis wohl noch zu niedrig angesetzt hatte. In Berlin war es mir immer ganz lieb gewesen, wenn sich die Leute ein bisschen über meine Honorarforderungen beklagten. So hatte ich die Kunden abgewimmelt, die mich wegen nichts und wieder nichts bemühen wollten. Er riss das Blatt vom Block und gab es mir.
    «Auf Ihrer Karte steht, Sie sprechen Englisch. Sie sprechen doch Englisch, Herr Gunther?»
    «Yes», sagte ich.
    «Der Zeuge kann nur notdürftig Deutsch, soweit ich weiß. Etwas Englisch könnte Ihnen also durchaus helfen, ihn ein bisschen besser kennenzulernen. Vielleicht sogar sein Vertrauen zu gewinnen. Amerikaner haben es nicht so mit Fremdsprachen.»
    «Ivanov klingt russisch», sagte ich. «Vielleicht spricht er ja Russisch. Ich spreche sehr gut Russisch. Habe ich im Lager gelernt.»
    «Sie haben Glück gehabt», sagte er. «Ich meine, Sie sind zurückgekehrt.» Er sah mich taxierend an. «Ja, Sie sind ein Glückspilz.»
    «Eindeutig», sagte ich. «Gesundheitlich geht es mir gut, obwohl ich einen Schrapnellsplitter ins Bein gekriegt habe. Und vor ein paar Jahren einen Schlag auf den Kopf. Davon juckt mir immer noch manchmal die Kopfhaut. Meistens, wenn irgendwas keinen Sinn ergibt. So wie jetzt zum Beispiel.»
    «Ach? Was ergibt denn keinen Sinn?»
    «Was kümmert es einen Juden, was aus ein paar elenden Kriegsverbrechern wird?»
    «Die Frage ist berechtigt», sagte er. «Ja, ich bin Jude. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich auf Rache aus bin, Herr Gunther.» Er erhob sich, ging ans Fenster und bedeutete mir mit einer gebieterischen Kopfbewegung, ihm zu folgen.
    Auf dem Weg registrierte ich ein Foto von Kaufmann in einer Heeresuniform aus dem Ersten Weltkrieg und eine gerahmte Promotionsurkunde der Universität Halle. Als ich dann neben ihm stand, erkannte ich, dass sein hellgrauer Nadelstreifenanzug noch besser war, als ich gedacht hatte. Er raschelte seidig, als Kaufmann die helle Schildpattbrille abnahm und sie energisch mit einem Taschentuch putzte, das genauso makellos weiß war wie sein Hemdkragen. Er war interessanter als der Ausblick auf den Karlsplatz, den sein Bürofenster bot. Ich kam mir vor wie Esau neben seinem gefälligeren Bruder Jakob.
    «Da sehen Sie den Justizpalast und das Neue Justizgebäude», sagte er. «In ein, zwei Jahren – vielleicht früher, so Gott will, weil mich der Krach wahnsinnig macht – wird beides wieder so aussehen wie früher. Man wird hineingehen und einem Prozess beiwohnen können, ohne zu merken, dass das Gebäude einmal völlig

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