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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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zerbombt war. Für Gebäude mag das ja ganz in Ordnung sein. Aber mit dem Recht ist es etwas anderes. Das wird von Menschen hervorgebracht, Herr Gunther. Gnade walten zu lassen, durch die Amnestierung aller Kriegsverbrecher, wäre dem Neuanfang Deutschlands förderlich.»
    «Schließt das auch Kriegsverbrecher wie Otto Ohlendorf ein?»
    «Es schließt alle Gefangenen ein», sagte er. «Ich bin nur einer von vielen, darunter auch Juden, die der Überzeugung sind, dass die politische Säuberung, die uns die Besatzungsbehörden aufgezwungen haben, praktisch in jeder Hinsicht ungerecht und ein ungeheurer Fehler ist. Wir müssen erreichen, dass die Verfolgung der sogenannten Flüchtigen so schnell wie möglich eingestellt wird und die noch verbliebenen Gefangenen entlassen werden, damit wir alle einen Schlussstrich unter die traurigen Ereignisse dieser unseligen Epoche ziehen können. Ich und eine Gruppe gleichgesinnter Juristen und Kirchenführer haben vor, beim amerikanischen Hochkommissar eine Petition bezüglich dieser Gefangenen in Landsberg einzureichen. Beweise für Gefangenenmisshandlung zu sammeln, ist dafür eine unerlässliche Voraussetzung. Und dass ich Jude bin, hat mit alldem gar nichts zu tun. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
    Wie reizend von ihm, mir eine Vorlesung über die neue Bundesrepublik zu halten. Es war eine ganze Weile her, dass sich jemand so um meine geistige Erziehung gekümmert hatte. Aber unsere Geschäftsbeziehung war noch ein bisschen zu frisch, als dass es ratsam gewesen wäre, Klartext mit ihm zu reden. Er war Jurist, und wenn man mit Juristen Klartext redet, kann es sein, dass sie es als Missachtung verstehen und einen ins Kittchen bringen.
    Also fuhr ich nach Landsberg, traf den Gefreiten Ivanov und besuchte dann wieder Kaufmann. Und diesmal hatte ich Zeit und Gelegenheit genug, so viel Klartext zu reden, wie ich wollte. Er musste dasitzen und es sich anhören. Denn es war mein Bericht, wie wir Privatdetektive es nennen, und aus meinem Mund kann ein Bericht ziemlich herabwürdigend klingen, wenn man meine Art nicht gewohnt ist. Zumal, wenn man nicht das zu hören bekommt, was man sich wünscht. Und es war gewiss nicht das, was er brauchen konnte, um Otto Ohlendorf und Konsorten vor dem Strang zu bewahren. Denn Ivanov war ein Lügner und Betrüger und, schlimmer noch, ein käuflicher Verleumder – ein mieser Kerl, der eine schäbige kleine Rechnung mit der US-Armee regeln und dafür noch bezahlt werden wollte.
    «Erstens bin ich nicht davon überzeugt, dass er je in Landsberg gearbeitet hat», sagte ich. «Er wusste nicht, dass Hitler dort 1924 inhaftiert war. Und auch nicht, dass die Festung erst 1910 erbaut wurde. Er wusste nicht, dass die sieben Männer, die im Juni 1948 in Landsberg gehenkt wurden, Naziärzte waren. Und er sagte, der Henker sei ein gewisser Joe Malta gewesen. Aber Malta ist schon 1947 aus der Armee ausgeschieden. In Landsberg haben sie einen neuen Henker, dessen Identität geheim gehalten wird. Außerdem sagte er, der Galgen sei drinnen. Aber in Wirklichkeit steht er draußen im Hof. Das sind alles Sachen, die man weiß, wenn man dort gearbeitet hat. Ich vermute, dass er allenfalls im Vertriebenenlager eingesetzt war.»
    «Verstehe», sagte Kaufmann. «Sie waren sehr gründlich, Herr Gunther.»
    «Ich bin schon unehrlicheren Männern als ihm begegnet», sagte ich. «Aber nur im Gefängnis. Ivanov würde höchstens dann einen glaubhaften Zeugen abgeben, wenn Sie dafür sorgen, dass bei seiner Vereidigung hundert Dollar in der Bibel stecken.»
    Kaufmann schwieg kurz. Dann zog er seine Schreibtischschublade auf und entnahm ihr eine Geldkassette, aus der er mein Honorar bar bezahlte. Schließlich sagte er: «Sie scheinen ziemlich zufrieden mit sich.»
    «Ich bin immer zufrieden, wenn ich einen Auftrag ordentlich abgeschlossen habe», sagte ich.
    «Sie sind nicht aufrichtig», sagte er. «Kommen Sie, wir wissen doch beide, dass es nicht das allein ist.»
    «Vielleicht ist es wirklich noch etwas anderes», räumte ich ein.
    «Sind Sie nicht für einen Neuanfang?»
    «Für Deutschland schon, doch. Aber nicht für Leute wie Otto Ohlendorf. Ein Schwein zu sein, war keine unabdingbare Voraussetzung, um zur SS zu kommen, aber hilfreich war es schon. Ich muss es wohl wissen. Ich war selbst eine Zeitlang bei der SS. Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb ich mit Ihrer neuen Bundesrepublik nicht so richtig konform gehe. Möglicherweise bin ich auch einfach nur ein bisschen

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