Das Jesus Video
Schaudern hatte Stephen zur Kenntnis genommen, daß dieses langbeinige, rassige Geschöpf imstande war, einen Panzer zu fahren, in Feuergefechte mit IntifadaLeuten verwickelt gewesen war und ein zerlegtes Maschinengewehr mit verbundenen Augen in weniger als einer Minute zusammenbauen konnte. Während er die Armee nur aus Filmen kannte.
»Sollen wir nicht doch mit meinem Auto fahren? Und ihn in Tel Aviv treffen?«Er deutete mit einer Kopfbewegung auf sein Mobiltelefon, das auf dem Tisch lag.
»Den erreichst du jetzt nicht mehr. Der steht schon im Jerusalemer Berufsverkehr.«
»Also gut.«Er zog sein Hemd zurecht, sein Lieblingshemd aus einer raffinierten Mischung von Leinen, Baumwolle und verschiedenen Kunstfasern, das ihn auf alle seine Expeditionen begleitete. Für sich getragen sah es leger aus, zusammen mit dem Jackett elegant, und es ließ sich zur Not auch mit kaltem Wasser und Seife reinigen und wirkte trotzdem immer, als sei es weiß. Es stammte aus einem exklusiven kleinen Laden in New York, auf den ihn jemand aus der Explorer’s Society hingewiesen hatte, ein Mann, der inzwischen auf die achtzig zuging und bei jeder Gelegenheit erzählte, wie er in seiner Jugend die Welt per Fahrrad umradelt hatte.
Dann schlüpfte er in das Jackett. Noch so ein Stück, nach dem er lange hatte suchen müssen. Es war leicht, kühlte in heißen Gegenden und wärmte in kalten, ließ sich im Gepäck eng zusammenrollen, ohne zu knittern, und paßte farblich praktisch zu allem. Ganz billig war es natürlich nicht gewesen. Aber er hatte es sich zur Regel gemacht, niemals irgendwohin zu reisen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich geschmackvoll und businesslike zu kleiden. Er hatte sogar ein paar Krawatten in seinem rustikal aussehenden Seesack; die hatte Judith nur noch nicht gesehen, sonst hätte sie sich darüber sicher auch lustig gemacht. Aber seiner Erfahrung nach war nichts so hilfreich für ein selbstsicheres Auftreten wie das Wissen, korrekt gekleidet zu sein. Wenn man es mit Menschen zu tun hatte, konnte eine Krawatte genauso entscheidend sein wie ein Revolver in einer Konfrontation mit einem Tiger.
Judith war aufgestanden und an den Zelteingang getreten. Die tiefstehende Sonne warf einen breiten, warmen Lichtstrahl quer durch das Zelt, über das Feldbett und den staubigen Boden aus festgetrampelter Erde, als sie die Plane beiseite schob.»Da kommt ein Taxi, glaube ich.«
»Mmmh«, machte Stephen, während er sich die Schuhe band. Die bekam man natürlich nie sauber in einer solchen Umgebung. Und aufräumen mußte er auch mal wieder; aus den Augenwinkeln sah er, daß unter dem Bett immer noch der Fundkasten lag, den er gestern benutzt hatte, ein flacher, rechteckiger Kasten aus stumpfem Eisenblech mit einem teilbaren Klappdeckel, in den man bei der Arbeit an Fundstellen die beiseite geräumte Erde tat, um sie später sorgfältig zu sieben. Manchmal wurden kleine, aber wichtige Fundstücke einzelne Zähne, kleine Knochen, Teile von Schmuck — am Ausgrabungsort übersehen und erst beim Sieben gefunden.
Aber all das hatte Zeit bis morgen. Er steckte Brieftasche und Mobiltelefon ein und überprüfte, ob er genug Bargeld in der Tasche trug.
»Die scheinen doch einen Film drehen zu wollen«, meinte Judith.»Das da ist doch eine Filmkamera, oder?«
»Was?«Stephen trat hinter sie, schaute über ihre Schulter und genoß es, die Wärme ihrer Wange zu fühlen, die kaum einen Zentimeter von der seinen entfernt war. Sie roch aufregend, ohne daß er hätte sagen können, wonach.
»Das Ding da auf dem dreibeinigen Gestell. Vor dem Zelt.«
Stephen starrte das Ding an, das tatsächlich eine Kamera war, wie man sie für Kinoproduktionen verwendete. Zwei von Kauns Leuten waren damit beschäftigt, sie auf einem stabilen Stativ festzuschrauben.»Merkwürdig«, sagte er.
»Die wollen einen Film drehen, ich sag’ es doch.«
Stephen schüttelte langsam den Kopf.»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Johngis Khan anreist, wenn es nur darum geht, einen Film über eine archäologische Ausgrabung zu drehen.«
Allmählich bezweifelte er selber, ob er wirklich verstand, was da eigentlich vorging. Wenn er hinüber sah auf das Areal 14, die fünf loderrot in der Abendsonne glänzenden Wohnwagen und die seltsam gesichtslos durcheinanderwuselnden Männer in ihren N.E.w.-Overalls, dann fühlte er sich ausgeschlossen, an den Rand der Ereignisse gedrängt. Das da drüben sah fast so aus wie in diesen Filmen,
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