Das Juwel der Elben
wird sofort zu wachsen beginnen, wenn du wächst.“
Daron schwieg eine Weile. Die Wahrheit war so einfach. Alles hatte damit zu tun, dass Daron daran zweifelte, ob er wirklich König werden sollte. Aber sobald er erwachsen war, bestand die Gefahr, dass man genau das von ihm verlangte. Solange er ein Kind war, war es hingegen völlig ausgeschlossen, dass der Thronrat ihn zum König wählte. Genau deshalb unterdrückte Daron jedes weitere Wachstum. Aber konnte er dies seinem Großvater gegenüber eingestehen? Er durfte es ihn nicht einmal durch einen besonders starken Gedanken spüren lassen, denn schließlich war es König Keandirs größter Traum, dass Daron ihm eines Tages auf dem Thron folgte. Und um nichts in der Welt wollte Daron seinen Großvater enttäuschen.
„Dein Geist ist verschlossen“, stellte der König fest. „Darum ist es besser, wir reden ein anderes Mal weiter …“
„Er hat mit dir wieder über das leidige Thema gesprochen, nicht wahr?“, fragte Sarwen ihrem Bruder später, als sie beide noch einmal bei Rarax' Stall vorbeischaute.
Sie hatte gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Erstens hatte Daron seit dem Gespräch mit König Keandir kaum ein Wort gesprochen, und zweitens verschloss er seine Gedanken vor ihr, was nur selten vorkam. Daron nickte. „Ja, so war es“, gab er zu. „Wir haben dieses Gespräch schon vor zwanzig Jahren geführt und vor noch mal zwanzig Jahren auch …“
„Du kannst von Glück sagen, dass er dich damit nicht häufiger bedrängt“, meinte Sarwen.
„Du hast gut reden!“
„Wieso?“
„Weil von dir niemand erwartet, einmal Herrscher von Elbiana zu werden. Aber von mir schon.“
Sie schwiegen eine Weile. „Also ich würde sofort wachsen, wenn du auch wachsen würdest“, erklärte sie. „Ich habe dir ja schon des Öfteren gesagt, dass ich es gut fände, bald wieder zu wachsen. Ich möchte Schamanin werden, aber solange ich ein Kind bin, nimmt man mich im Orden der Schamanen nicht an.“
Die Aufgabe der Schamanen war es, sich um die Verbindung zu den Eldran zu kümmern. So nannte man diejenigen Elben, die sich bereits im Jenseits befanden. Und da die Zwillinge ihre Eltern früh verloren hatten, interessierte Sarwen das Jenseits und alles, was damit zu tun hatte, brennend.
„Warum wächst du dann nicht allein für dich?“, fragte Daron.
„Du würdest mir das nicht übel nehmen?“
„Nein.“
„Aber wenn einer von uns wächst und der andere nicht, dann wird die enge Verbindung zwischen uns nicht mehr da sein. Und das möchte ich nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich kann warten.“
Er sah sie an und sagte dann: „Du hast es gut Sarwen.“
„Wieso?“
„Weil du schon weißt, was später aus dir werden soll. Aber ich weiß
das noch nicht.“
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Eines Tages wirst du das von einem Augenblick zum anderen wissen“, empfing Daron ihren Gedanken.
Kapitel 3
Entführt
Am nächsten Tag fanden sich Daron und Sarwen wieder bei den Stallungen ein, um nach Rarax zu sehen. Außer Rhenadir dem Gewissenhaften und ein paar Gehilfen des Marschalls befand sich dort auch Lirandil der Fährtensucher.
Lirandil stand dicht neben Rarax und berührte mit der Hand dessen Nackenfell. Das Ungeheuer ließ sich das von ihm erstaunlicherweise gefallen.
Der Fährtensucher war bekannt dafür, mit Tieren besonders gut umgehen zu können. Er achtete auf die kleinsten Zeichen der Natur, wenn er auf seinen weiten Reisen ferne Länder durchstreifte. Er beherrschte das Fährtenlesen und hatte eine Schule für all diejenigen eingerichtet, die diese Kunst von ihm zu lernen wünschten.
Lirandil wandte sich zu den Zwillingen herum, als er sie bemerkte.
„Wie man so hört, wollt ihr das Riesenfledertier soweit zähmen, dass es euch ebenso folgt wie jedes Elbenpferd.“
„Ja, das stimmt.“, gab Sarwen zu, wobei ein Gedanke ihres Bruders sie erreichte: „Ich wette, den hat Großvater geschickt, damit er uns noch einmal eindringlich davor warnt, wie gefährlich so eine Kreatur angeblich ist!“
Auch Sarwen nahm das an.
„Ihr Zwei seid in eurer Erziehung dieses Geschöpfes schon sehr weit gekommen“, sagte Lirandil anerkennend. „Und wenn man euch so fliegen sieht, dann scheint es euch auch ganz gut zu gehorchen.“
„Wir haben uns große Mühe gegeben“, erklärte Daron. „Was würdet Ihr davon halten, wenn unsere Kavallerie Riesenfledertiere statt Elbenpferde benutzen würde? Wäre es nicht vorteilhaft für
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