Das kalte Gift der Rache
wir unsere Waffen ziehen und sie niederschießen, wenn sie nicht umgehend zwei Becher Kaffee auffahren würde.
»Geht doch nichts über ein Tässchen grünen Tee«, bemerkte Bud wie ein britischer Lord mit dem entsprechenden Akzent. Als Nächstes würde er noch auf Fuchsjagd gehen.
Im Kamin knisterte und knackte echtes Hickoryholz munter vor sich hin, und ich stellte mich mit dem Rücken davor, um meine verfrorenen Füße zu wärmen. Manchmal nervte der Winter nur. Eigentlich immer. Mein Blick streifte über ein Regal voller alter Familienfotos in Silberrahmen aus der Zeit um 1912 herum, während meine Rückseite von einem Frühlingstauwetter ereilt schien. Bud wandte sich Sarah Jessica Parker im Fernsehen zu, wie sie gerade die böse Zicke gab. Sie hatte nicht viel an, aber immerhin trug sie wie ich Stilettos, sodass sie gegen Angreifer gefeit war. Ihre waren rot und sicher nicht vom Wohltätigkeitsbasar.
Es dauerte nicht lange, bis unsere alte Dame zurückkehrte und dabei einen altmodischen Teewagen mit einem angelaufenen Silbertablett darauf vor sich herschob. Schwer auf ihre patriotische Krücke gestützt, schien sie erleichtert, als sie sich in einem großen Chintzsessel mit blau-rosa Blümchendessin niederlassen konnte. Mit größter Anmut, darin Prinzessin Dianas verwitweter Großtante in nichts nachstehend, sofern sie denn eine gehabt hatte, inszenierte die alte Dame eine veritable britische Teezeremonie. Auf einem weißen Teller mit rotem Rosenmuster hatte sie sechs Gurkensandwichs und sechs Petits Fours arrangiert. Das Geschirr nannte sich Old English Rose, das wusste ich, weil meine Tante Helen gleich mehrere Stücke davon besaß, darunter die besonders wertvolle Etagere.
Unsere reizende Alte fixierte mich mit ihren wachen, blauen Augen. »Sagen Sie mal, Detective Morgan, oder Claire, wenn Sie gestatten, warum sind Sie denn angezogen wie eine Prostituierte? Sind Sie etwa bei diesen Razzien im Sexmilieu beteiligt, die ich so gern im Reality-Fernsehen verfolge? Und stammt die Wunde in ihrem Gesicht auch daher? Ehrlich gesagt, es geschieht diesen Freiern gerade recht, wenn sie auf diese Weise geschnappt und bloßgestellt werden. Von meinem verstorbenen Mann weiß ich, dass er so ein Etablissement frequentierte, ehe wir geheiratet haben, aber danach nie wieder, kein einziges Mal. Ich könnte so einen Wüstling nicht akzeptieren.«
Okay, nun aber zur Sache. »Mrs Talbott, was wissen Sie über Simon Classon? Wie gut kennen Sie ihn?«
Mrs Talbott reichte erst mir, dann Bud eine zarte, geblümte Teetasse. Dann gab sie mit einer zierlichen Zange aus Silber zwei Stück Zucker dazu. Seit ich klein war, hatte ich keinen Würfelzucker mehr gesehen; ich wusste gar nicht, dass es so was überhaupt noch gab.
»Nicht sehr gut. Ich bin ihm nur einmal am Briefkasten begegnet. Er hat es nie versäumt, seine tägliche Post abzuholen. Manchmal kam er auch runter und hat mir meine auf die Veranda gelegt, wenn es regnete oder schneite, obwohl ich meine Post auch sehr gut selbst holen kann. Ich bin zwar auf die Krücke angewiesen, aber ich komm ganz gut zurecht. Früher musste ich sogar den Rollstuhl nehmen, aber jetzt nicht mehr so oft.«
»Hatte Mr Classon Besucher? Wissen Sie, ob er eine Familie hat? Eine Frau oder Freundin?«
»Ja, natürlich, da ist immer wieder mal das eine oder andere Auto bei ihm vorgefahren. Aber ich hab da nie so aufgepasst. Meines Erachtens könnte er eher einen Freund haben.«
»Ist er schwul?« Das kam von Bud.
»Nun, mir fiel schon mal auf, dass er so herumstolzierte wie ein Geck. Schließen Sie daraus, was Sie wollen, junger Mann.«
»Bedeutet das schwul?«
Ich erklärte es ihm: »Ein Geck ist ein weibischer Mann, Bud. Mrs Talbott, ist Ihnen je aufgefallen, dass bei Mr Classon Leute aus- und eingehen?«
»Sie nennen ihn einen Geck? Machen Sie keine Witze«, sagte Bud mit einem Lachen.
Mrs Talbott schüttelte den Kopf. »Nein, niemand, den ich identifizieren könnte, wenn Sie das meinen. Eins weiß ich jedoch sicher: Er glaubt, er wäre ein Engel, auf die Erde gekommen, anderen zu helfen.«
Meine Hand klammerte sich an der Tasse fest, als ich gerade trank. Ich verschluckte mich fast an dem heißen, aromatischen Tee. »Wie bitte?«
»Sie haben richtig verstanden. Er hält sich tatsächlich für einen Engel – die Bibel ist voll von männlichen Engeln, wissen Sie. Ich glaube sogar, die meisten sind männlichen Geschlechts.«
Bud sagte: »Er hat Ihnen einfach so gesagt, dass er ein
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