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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Fuß. Die Wurzeln derselben kriechen auf der Erde hin, wie von der Kälte erstarrte Schlangen. Der Erdboden selbst ist nur mit gelblichem, glattem Moose bedeckt, da und dort mit verdorrtem Reisig bestreut, sowie mit einzelnen abgefallenen Tannenzapfen, die knirschend unter dem Fuße des Wanderers brechen. Dazu der steile und von krystallinischem Gestein durchsetzte Abhang, an dem sich die beste Ledersohle schnell abnutzt. Der Weg durch diesen Tannenwald gestaltete sich denn auch auf eine Viertelmeile weit recht ermüdend. Um die ihn gelegentlich versperrenden Felsblöcke zu erklimmen, bedurfte es einer Geschmeidigkeit des Körpers, einer Kraft der Schenkel und einer Sicherheit in der Beherrschung aller Glieder, die dem Doctor Patak leider nicht eigen waren. Wenn Nic Deck für sich allein eine Stunde zur Ueberwindung dieser schwierigen Strecke gebraucht hätte, so kostete es ihm deren drei mit dem »Anhängsel« seines Genossen, da er wiederholt stehen bleiben mußte, um diesen zu erwarten, oder ihm helfen, ein für seine kurzen Beine zu hohes Felsstück zu erklimmen. Der Doctor hatte nur eine Furcht – eine entsetzliche Furcht, nämlich die, in dieser trostlosen Einöde allein zurückzubleiben.
    War der Bergabhang auch schwieriger zu ersteigen, so standen dafür nahe dem Scheitel des Plesa wenigstens die Bäume nicht mehr so dicht. Sie bildeten nur noch vereinzelte Gruppen von mäßigem Umfange. Zwischen diesen hindurch erblickte man schon die Linie der Gebirgszüge, die sich am Horizonte abzeichneten und noch den aufsteigenden Abendnebel überragten.
    Der Nyad, dessen Verlaufe der Forstwächter bisher gefolgt war und den hier nur eine schwache Wasserader belebte, mußte in geringer Entfernung entspringen. Wenige hundert Fuß über den letzten beiden Stufen dehnte sich die Hochfläche des Orgall aus, die von dem Gemäuer der Burg bekrönt war.
    Nachdem sich Beide noch einmal tüchtig ins Zeug gelegt, erreichte Nic Deck endlich diese Fläche, bei der der Doctor freilich nur mehr als leblose Masse anlangte. Der arme Mann hätte sich keine zwanzig Schritte mehr weiter schleppen können, und er stürzte jetzt auch zusammen wie der Stier, der unter dem Axthiebe des Fleischers fällt.
    Nic Deck fühlte sich durch den beschwerlichen Aufstieg kaum ermüdet. Hoch aufgerichtet stand er da und verzehrte mit dem Blicke das Karpathenschloß, dem er sich noch niemals soweit genähert hatte.
    Vor ihm lag die Umfassungsmauer mit ihren Zinnen, selbst wieder vertheidigt durch einen tiefen Wallgraben, dessen einzige Brücke nach dem Thore zu aufgezogen war, das ein Thorbogen aus großen Quadersteinen umrahmte.
    In der nächsten Umgebung auf der ganzen Hochfläche des Orgall war alles still und leer.
    Ein letzter Tagesschein gestattete noch, das Gesammtbild der Burg zu erkennen, die mächtig, aber halb verschwommen aus dem Abendschatten aufragte.
    Ueber der Mauerbrüstung war kein Mensch sichtbar, keiner auf der oberen Fläche des Wartthurmes oder auf der Kreisterrasse des ersten Stockwerkes. Nicht das feinste Rauchwölkchen wirbelte um den stolzen, doch vom Roste der Jahrhunderte zerfressenen Wetterhahn.
    »Nun, Forstwächter, fragte der Doctor Patak, gebt Ihr nun zu, daß es unmöglich ist, diesen Graben zu überschreiten, die Zugbrücke niederzulassen und das Thor zu öffnen?«
    Nic Deck schwieg, er sagte sich ja auch selbst, daß er gezwungen sein würde, vorläufig vor den Mauern der Burg Halt zu machen, denn bei der herrschenden Finsterniß war gar nicht daran zu denken, in die Tiefe des Grabens hinunterzugleiten, die steile Mauerböschung zu erklimmen und hinter die Umfassungsmauer einzudringen.
     

    Er sah wirklich seltsame Gestalten. (S. 77.)
     
    Nein, es schien weit rathsamer, den nächsten Morgen abzuwarten, um bei vollem Lichte ans Werk zu gehen.
    Das beschlossen denn auch die beiden Männer, zum großen Leidwesen des Forstwächters, aber zur noch größeren Befriedigung des ängstlichen Doctors.
     

    »Nic… Nic, ruft der Doctor, seht mich an!« (S. 78.)
Sechstes Capitel.
    Die Silbersichel des zunehmenden Mondes war sehr bald der untergegangenen Sonne nachgefolgt. Aus Westen heranziehende Wolken verlöschten allmählich den letzten Dämmerschein am Himmel. Von der Erde aus stieg der Schatten immer weiter in die Höhe. Die Berge rund umher hüllten sich in den Mantel der Finsterniß und die Formen der Burg verschwanden unter dem Florschleier der Nacht.
    Wenn diese Nacht auch sehr finster zu werden drohte, so wies doch

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