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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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nichts darauf hin, daß sie durch Witterungsnubill, durch Gewitter, Sturm oder Regen gestört werden sollte. Für Nic Deck und seinen Begleiter, die ja unter freiem Himmel übernachten mußten, war das ein glücklicher Umstand.
    Auf der öden Hochfläche des Orgall fand sich keine zusammenhängende Baumgruppe mehr; nur da und dort kroch so niedriges Buschwerk über die Erde hin, daß es gegen die nächtliche Kühle keinerlei Schutz bieten konnte. Felsblöcke gab’s freilich so viele man sich nur wünschen konnte; hier zur Hälfte in der Erde vergraben, dort in so gefährlichem Gleichgewicht aufgerichtet, daß ein tüchtiger Windstoß hätte hinreichen müssen, sie in den Tannenwald darunter zu stürzen.
    Die einzige, auf diesem steinigen Boden üppig wuchernde Pflanze war eine buschige Distel, der »Russendorn« genannt, deren Samenkörner, wie Elisée Reclus erzählt, von dem rauhen Felle moskowitischer Pferde hierher gebracht worden waren – »ein Andenken, das die Russen bei einem früheren Feldzuge den Transsylvaniern hinterließen«.
    Jetzt handelte es sich also darum, eine irgend geeignete Stelle auszuwählen, auf der man den Tag erwarten und sich einigermaßen gegen die in dieser Höhe voraussichtlich starke Abnahme der Temperatur schützen konnte.
    »Wer die Wahl hat, hat die Qual; so geht’s auch uns… freilich im schlechten Sinne! brummte der Doctor Patak.
    – So beklagt Euch doch darüber! antwortete Nic Deck sehr kurz.
    – Natürlich, ich beklage mich auch! Das ist ja der herrlichste Ort, um sich einen guten Schnupfen oder gar einen tüchtigen Rheumatismus zu holen, von dem ich mich schwerlich wieder zu befreien vermöchte.«
    Ein offenes Geständniß der Wissensarmuth aus dem Munde des alten Heilgehilfen der Quarantäne! O, wie schmerzlich entbehrte er jetzt sein hübsches Häuschen in Werst, mit dem wohlverwahrten Schlafzimmer, dem Bett mit einem Berge von Kissen und dem Vorhange davor!
    Unter den auf der Hochfläche des Orgall verstreuten Felstrümmern galt es nun einen Block auszusuchen, der durch seine Lage am besten als Schirm gegen den eben auffrischenden Südwestwind dienen konnte. Dessen unterzog sich auch Nic Deck, und bald gesellte sich der Doctor zu ihm hinter einem Felsstück, das oben flach wie ein Tisch erschien.
    Dieser Felsen bildete eine jener von Scabiosen und Saxifragen umwucherten Steinbänke, denen man in den walachischen Provinzen an Straßenkreuzungen so häufig begegnet. So wie der Wanderer darauf ausruhen kann, findet er hier auch Gelegenheit, seinen Durst mit dem Wasser zu löschen, das eine darauf stehende Kanne enthält und das von den menschenfreundlichen Landleuten alltäglich erneuert wird. Als Baron Rudolph von Gortz noch auf dem Schlosse wohnte, trug auch diese Steinbank ein Gefäß, das seine Diener niemals leer werden lassen durften. Jetzt war es freilich mit Sand und Pflanzenresten angefüllt, mit grünlichem Moose bewachsen und so morsch, daß es der geringste Stoß vollständig zertrümmert haben würde.
    Am Ende der Bank erhob sich ein Steinpfeiler, der Rest eines alten Kreuzes, von dessen Armen auf jenem nur noch die halbverwitterte Fuge, die sie gehalten hatte, sichtbar war. In seiner Eigenschaft als Freigeist konnte der Doctor Patak natürlich nicht annehmen, daß ihn dieses, obendrein zerfallene Kreuz vor übersinnlichen Erscheinungen schützen würde. Und doch war er – eine bei Ungläubigen oft beobachtete merkwürdige Anomalie – gar nicht fern davon, an den Teufel zu glauben. Seiner Vorstellung nach mußte der Chort ja in der Nähe sein, denn er hielt das Schloß in seinem Banne, und wenn dem Gottseibeiuns etwa das Lüstchen anwandelte, ihnen Beiden den Hals umzudrehen, so würde ihn weder das geschlossene Burgthor noch die aufgezogene Brücke am Herauskommen hindern können.
    Und wenn sich der Doctor überlegte, daß er eine ganze Nacht unter solchen Verhältnissen zubringen sollte, da zitterte er wie Espenlaub. Nein, das hieß von der menschlichen Natur zuviel verlangen, und seiner Meinung nach wäre dem auch der willensstärkste Charakter unterlegen.
    Da dämmerte ihm langsam noch ein Gedanke auf – ein Gedanke, der sich seit dem Aufbruche aus Werst in seinem Gehirn noch nicht gemeldet hatte. Jetzt war es Dienstag Abend, und an diesem Tage hüten sich die Bewohner des Comitats weislich, nach Sonnenuntergang noch auszugehen. Der althergebrachten Ansicht nach hieß es die Begegnung mit bösen Geistern geradezu herausfordern, wenn man sich da noch

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