Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
haben alle verloren!«
Jimena griff nach seinem Arm und schüttelte ihn. »Nein, Majestät, König Alfonso zieht sich zurück. Der Sieg gehört Euch! Kastilien ist befreit und wird seiner Königin und seinem König huldigen.«
Fernando blinzelte. »Was sagt Ihr da? Wie wäre das möglich? Wie könntet Ihr davon wissen?«
Auch der Kardinal trat nun herbei und starrte Jimena prüfend an, doch dann nickte er. »Ihr habt recht, Doña Jimena. Lassen wir das Volk wissen, dass Königin Isabel und König Fernando gesiegt haben!«
»Ja, denn nichts ist wichtiger als der Sieg in den Köpfen der Menschen Kastiliens!«
Er ließ ein Pergament und Tinte bringen und verfasste zusammen mit dem König eine Nachricht an Isabel.
»Ich werde sie sogleich überbringen«, bot Jimena an und streckte ihre Hand nach dem versiegelten Schreiben aus. Fernando überreichte es ihr und lächelte ein wenig schief auf sie herab.
»Manche Schlachten werden nicht mit dem Schwert gewonnen«, sagte er.
Jimena nickte und verstaute den Brief unter ihrem Wams. Der König persönlich reichte ihr seinen Mantel und hob sie auf ihr Pferd. Er gab ihr zwei seiner Getreuen mit, auf dass sie Tordesillas sicher erreichen mochte. Jimena hob noch einmal die Hand und ritt dann im Galopp über die vom Mondlicht beschienene Flussebene davon. Die Männer folgten ihr.
Die Glocken läuteten. In diesem Augenblick erst im Con vento de Santa Clara, doch schon wenige Minuten später fielen die anderen Kirchenglocken von Tordesillas jubelnd ein. Und bald schon sollten die Glocken in ganz Kastilien läuten. Die Schwestern stimmten das Te Deum an, als Isabel barfuß vor den Altar trat, um Gott dem Herrn zu danken und ihn zu preisen, dass er ihr in dieser Nacht Kastilien zum Geschenk gemacht hatte. Sie schwor, zum Dank in Toledo ein Kloster errichten zu lassen: San Juan de los Reyes, um für alle Zeiten an diesen Sieg zu erinnern, von dem bald das ganze Land reden sollte.
Und so war es auch. Allerorts pries man die Königin, und viele, die noch schwankend gewesen waren, folgten nun ihrem Ruf, während sich König Alfonso mit dem kläglichen Rest seines Heeres hinter die Grenze zurückzog. Nicht nur, dass Tausende seiner Männer gefallen waren – nach dieser Schlacht verließ auch Erzbischof Carrillo den Portugiesen, was so manch anderen Adeligen, der sich Vorteile und Pfründe erhofft hatte, ins Wanken brachte und abtrünnig werden ließ.
Doch das waren nicht die Gedanken, die Jimena bewegten, als sie sich während des Dankgottesdienstes in die Kapelle zurückzog, die Fernán López de Saldaña als Begräbnisplatz für seine Familie hatte erbauen lassen. Er war Schatzmeister von Isabels Vater König Juan II. gewesen. Nun schritt Jimena an seinem Sarg mit der lebensgroßen Statue vorbei, die bleich und kalt auf dem Deckel lag.
Doch es war nicht sein Tod und auch nicht das Leid seiner Familie, die Jimena umtrieben. Sie sah zu Isabel hinüber, die vor dem Altar kniete. Dies war einer ihrer glücklichen Tage, doch dieser Ort sollte noch viel Kummer bereithalten – für sie selbst und vor allem für ihre noch ungeborene Tochter: Königin Juana I.
Und plötzlich sah Jimena die anderen Särge, die hier einst stehen würden, und sie spürte das überwältigende Leid einer Frau, die das Liebste und Wichtigste an den Tod verloren hatte. Ja, hier würde Juana um ihren Mann weinen, doch noch schlimmer als unter diesem Verlust würde sie unter ihrem eigenen Vater und ihrem Sohn leiden müssen, die sie einsperren ließen, um alle Macht, die eigentlich ihr allein als der Königin von Kastilien zustand, in den eigenen Händen zu behalten. Vielleicht waren es dieses Wissen und die drückende Macht der ewig währenden Einsamkeit, an der sie langsam zerbrechen sollte, bis der Name, den man ihr schon lange gegeben hatte, zur Wirklichkeit wurde: Juana la Loca – Johanna die Wahnsinnige –, die schöne Tochter der großen Isabel von Kastilien, die von alldem noch nichts wusste.
Nein, heute war ein Freudentag für die Königin und den König an ihrer Seite, der bereits auf dem Weg zu ihr war, um sie bei der großen Aufgabe zu unterstützen, die nun vor ihr stand: Kastilien mit seinen Menschen in eine neue, goldene Zeit zu führen.
Kapitel 43
Kloster der Klarissen, April 2012
»Haben Sie gut geschlafen?«
Isaura saß mit einem Tablett auf den Knien in dem schmalen Bett einer der Gästekammern des Klosters, einen Becher Tee in den Händen. Sie begrüßte Schwester Maria Anna, die
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