Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
nicht tödlich sein würde. Doch woher kam das ganze Blut, das seine Kleidung und das Gras tränkte?
Er protestierte und stöhnte, als sie seinen Harnisch löste und sein Wams mit ihrem Messer aufschnitt. Ihre Lippen zitterten, als sie den blutdurchtränkten Stoff von der Wunde zog. Eine Lanze war unter dem Arm tief in die Seite gedrungen. Noch immer floss viel Blut aus der hässlichen Wunde. Jimena nahm ihren Mantel ab, drehte den Stoff zusammen und drückte ihn auf die Verletzung, auch wenn sie wusste, dass sie ihm nicht mehr helfen konnte. Es war ihr, als könne sie den Tod bereits wittern, der sich mit seinen eisigen Klauen heranschlich.
Jimena schluckte ihre Tränen herunter. Sie setzte sich in das zerwühlte Gras und zog Ramóns Kopf in ihren Schoß. Er sah zu ihr auf, und seine von Schmerzen verkrampfte Miene entspannte sich für einen Augenblick.
»Vielleicht hätte ich auf dich hören sollen«, stieß er flüsternd hervor. »Vielleicht wären wir dann glücklich zusammen, irgendwo weit weg von diesem Wahnsinn.«
»Oder du hättest heute für die andere Seite dein Leben lassen müssen«, widersprach sie. »Das Rad des Schicksals hat so entschieden. Auch ich bedaure, dass wir ihm nicht entgehen konnten. Ach, Ramón, ein paar glückliche Jahre hätte ich mir gewünscht, oder wenigstens ein paar Wochen oder Monate.« Nun rannen ihr Tränen über die Wangen und tropften in sein Gesicht.
»Weine nicht, mein Liebes, ich habe es nicht verdient. Ich habe dich verlassen und verraten. Ich weiß nicht, warum ich erst sterben muss, um endlich zu sehen.«
Seine Hand umklammerte die ihre, er versuchte noch etwas zu sagen, doch er brachte nur noch ein Stöhnen hervor. Dann lief ein Zittern durch seinen Körper, und der Glanz seiner Augen verlosch. Er war tot.
Ein Schluchzen entrann ihrem Mund. Nein, nein, nein! Das durfte nicht sein. Sie konnte ihn doch nicht einfach so verlieren!
Lass ihn los!
»Nein!«
Lass ihn los, wiederholte Domingas Stimme in ihrem Kopf. Deine Aufgabe für heute ist noch nicht zu Ende.
»Er ist tot! Dein Sohn liegt hier tot auf dem Schlachtfeld!«
Ja, ich weiß, ich konnte es nicht verhindern. Jimena hörte den Schmerz, doch sie litt selbst zu sehr, um Mitleid mit der Mutter zu empfinden.
Lass ihn los , sagte sie ein drittes Mal. Du kannst seinen Körper nicht mitnehmen, um ihn zu begraben.
»Aber ich kann ihn doch nicht den Geiern und Krähen überlassen!«
Es ist nur noch sein Körper. Er wird es nicht spüren. Du musst jetzt Abschied nehmen und dich um die Lebenden kümmern.
Jimena wusste, dass sie recht hatte, und dennoch zürnte sie ihr. Es war leichter, sich auf den Zorn zu konzentrieren als auf ihr Leid. Sie küsste Ramón die blutverschmierten Lippen und breitete dann ihren Mantel über ihn.
»Lebe wohl, mein Geliebter. Ich wünsche so sehr, dass es ein anderes Leben gibt, in dem wir uns wiedersehen.«
Jimena erhob sich und wankte blind vor Tränen zu ihrem Pferd zurück. Es gelang ihr, sich in den Sattel zu ziehen. Die Rappstute trabte an und fiel in den Galopp. Durch den Schleier ihrer Tränen konnte Jimena nicht sehen, wohin sie sich wandte, doch vielleicht lenkte Dominga ihren Lauf, oder das Tier ahnte selbst, wohin es gehen musste. Jimena gab sich noch immer ihrer Trauer hin, als die ersten Zelte des Feldlagers vor ihr auftauchten. Sie ließ die Stute in den Schritt zurückfallen und ritt zwischen den Zelten hindurch, bis sie ihr Ziel erreichte. Die Stute hielt an und schnaubte leise, so als wolle sie Jimena an ihre Pflicht erinnern. Sie tätschelte die Mähne des treuen Tieres.
»Du hast ja recht«, flüsterte sie, wischte ihre Tränen ab und rutschte aus dem Sattel. Sie trat ins Zelt des Königs, wo sich Fernando mit Kardinal Mendoza und einigen anderen Adelsmännern versammelt hatte. Sie wirkten so erschöpft und entmutigt wie die Führer im Lager der Portugiesen. Keiner fragte, was sie hier zu suchen habe. Fernando hob nur müde den Blick.
»Doña Jimena«, murmelte er, so als wisse er nicht, ob sie echt war oder nur ein Trugbild.
Jimena straffte die Schultern und schritt auf ihn zu. »Majestät, Ihr habt die Schlacht gewonnen! Schickt einen Boten zur Königin, um ihr die freudige Nachricht zu überbringen. Verkündet es im ganzen Land und lasst das Volk Euren Sieg feiern.«
Fernando starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an und schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht gewonnen. Es war nur ein sinnloses Abschlachten, bei dem keiner den Sieg davongetragen hat. Wir
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