Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Weile zum mächtigsten der Welt gemacht hatte.
Nach einem Jogging mit anschließendem Frühstück saß Präsident George W. Bush in der Emma-E.-Booker-Grundschule in Sarasota, Florida, und hörte Siebenjährigen bei ihren Leseübungen
zu. Lächelnd zwar, aber zerstreut. Er hatte kurz zuvor von einem Flugzeugunglück in New York gehört, verstörend, doch Genaueres wusste man nicht. Er lauschte den Pennälern, gedankenversunken, bis sich sein Stabschef über ihn beugte und ihm ins Ohr flüsterte, dass eine zweite Maschine in das World Trade Center gerast war, in den Südturm. Nun war klar, dass die erste Maschine kein Zufall gewesen war.
Jener Gott, den die andere Seite für sich reklamierte, hatte zugeschlagen. Terroristen hatten im Namen Allahs, des Allmächtigen, die Türme des World Trade Center zum Einsturz gebracht. Die »radikalen Verlierer«, wie sie Hans Magnus Enzensberger 2005 in einem SPIEGEL-Essay nannte, hatten den Satan besiegt, indem sie die Hochtechnologie des Feindes gegen ihn selbst wandten – sie hatten dessen Passagiermaschinen mit Teppichmessern entführt und in Bomben verwandelt. Das Mittelalter triumphierte über die Moderne.
Während Bush erstaunliche weitere sechs Minuten unter den Kindern sitzen blieb und seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen und seine Gedanken zu ordnen versuchte, wurde Manhattan zum Schauplatz der Apokalypse. Da war ein Feuerball. Ein Trümmerregen. Schreiende Menschen, die vom Himmel stürzten. Ein Krater tat sich auf im Herzen der westlichen Welt. Mit lähmendem Entsetzen sah die globale Gemeinschaft dem Beginn einer neuen Epoche zu – der Epoche des rotglühenden religiösen Zorns.
Nachdem sich der Präsident von den Kindern verabschiedet hatte, griff er nach einem Filzschreiber und notierte auf gelbem Notizpapier Stichworte für eine Erklärung. Es waren Stichworte für einen Rachefeldzug, der seine Präsidentschaft in den kommenden Jahren zu einem Schwert schmieden sollte. »Wir werden die Typen, die das angerichtet haben, jagen, bis wir sie haben.« Das sollte er im Folgenden variieren: Wir werden sie jagen in ihren Höhlen, wir werden sie zur Strecke bringen. »Terrorismus gegen unsere Nation hat keine Chance.«
Doch in den Höhlen Afghanistans wurde gejubelt. Auf der Westbank wurde gejubelt. Zorniger Jubel in Pakistan, in den fundamentalistischen Koranschulen in Ägypten, im Sudan, und überall schworen junge Männer in Videobotschaften, den Weg der Märtyrer zu gehen.
Dieser moderne Religionskrieg unterschied sich von den gottlosen Genoziden und Ausrottungskriegen des vergangenen Jahrhunderts. Jene waren ideologisch, dieser ist theologisch. Auf beiden Seiten. Denn tatsächlich stand ja mit George W. Bush ein christlich-fundamentalistischer Gotteskrieger im Visier der islamistischen Killer der Al Qaida. Bush war als Kandidat der Evangelikalen zur Macht gekommen. Er hat oft davon gesprochen, dass er wiedergeboren wurde, nachdem er 1986 sein Alkoholproblem erfolgreich in den Griff bekommen hatte. In den Jahren danach sollte er wiederholt davon sprechen, dass er sich als Werkzeug Gottes fühle.
Bereits am 16. September 2001, fünf Tage nach der Attacke, skizzierte er den Kreuzzug, zu dem er aufbrechen wolle: »Dies ist eine neue Art – eine neue Art des Bösen. Und wir verstehen. Und das amerikanische Volk beginnt zu verstehen. Dieser Kreuzzug, dieser Krieg gegen den Terrorismus wird eine Weile dauern.«
Berater des Präsidenten ließen zunehmend entnervt an die Presse durchsickern, wie ihr Chef, unbeeindruckt von Fakten, von Einwänden, von strategischen Überlegungen und Feinheiten, seine Spur zog. Sein Zorn hatte sein Denken zu einem Tunnel gemacht. »Bush hat diese bizarre, messianische Idee davon, was Gott ihm aufträgt zu tun«, sagte Bruce Bartlett, ehemaliger Wirtschaftsberater im Weißen Haus, der New York Times. »Er glaubt, man muss sie alle töten. Sie können nicht überzeugt werden, sie sind Extremisten, getrieben von einer dunklen Vision. Er versteht sie, weil er genauso ist wie sie.«
Der religiöse Zorn kennt kein Federlesen. Der Irak-Krieg, der unter falschen Prämissen begonnen wurde, hat bisher über 4000 amerikanische Soldaten und allein im Irak rund 100 000
Zivilisten, darunter sicherlich auch Christen, das Leben gekostet. Doch der islamistische Terror, der in Bali, Madrid oder Djerba wütete, richtet sich durchaus gegen eigene Glaubensbrüder. Als im Londoner Bus- und U-Bahn-Netz am 7. Juli 2005 vier Bomben gezündet wurden,
Weitere Kostenlose Bücher