Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
seine eigene Freundin noch so gut aussehen. Trotzdem heiratete sie ihn, weil man das eben so machte, wenn man zusammen ein Kind erwartete. Sie arrangierten sich. Kauften das Haus in der Veilchengasse und spielten Vater, Mutter, Kind. Elaine langweilte sich mit der Kleinen, sie konnte einfach nichts mit ihr anfangen. Dabei war Chantalle ihr Ebenbild – doch nur äußerlich. Während Elaine merkwürdig stumpf und emotionslos wirkte, sprühte Chantalle vor Lebenslust und Esprit. Elaine war nur eine schöne Hülle, doch Chantalle war außen und innen ein Wunderwerk der Natur. Mats vergötterte seine kleine Prinzessin und Elaine war eifersüchtig. Eifersüchtig auf das eigene Kind. Sie nahm sich vor, dass sie Channi zu einem vernünftigen Mädchen erziehen wollte, das nicht nur auf Augenaufschlag und Pushup-BHs setzte. Doch es gelang ihr nicht. Ihre Tochter flirtete mit jedem, sogar mit Mädchen. Je mehr Elaine gegensteuerte, desto heftiger trieb es das Kind.
Nun war Chantalle weg. Alle waren weg. Ihr Mann, ihre Tochter, sogar der Hund hatte vor einem Jahr den Löffel abgegeben. Das einzige ehrgeizige Projekt ihres Lebens „Ich erziehe mein Kind zu einer anständigen Frau“ war gründlich in die Hose gegangen. Ihre Tochter war ein Flittchen. Ihren Job war Elaine auch los, allerdings hatte sie an dem ohnehin nicht gehangen. Sie hing an gar nichts mehr, wenn man vom Computer mal absah. Seit einiger Zeit chattete sie mit einem wildfremden Mann in einem anonymen Chatraum und fühlte das erste Mal im Leben so etwas wie sexuelle Anziehungskraft. Da sie ohnehin nichts zu verlieren hatte, war ihr Profilbild echt. Sie hatte sich mit ihrem Handy fotografiert, nachdem sie ausnahmsweise geduscht, frisiert und geschminkt war, und das Foto online gestellt. Innerhalb weniger Stunden hatte sie fast 40 Nachrichten von lauter attraktiven Männern in ihrem Postfach. Dass die meisten Kerle mit falschen Karten spielten, war ihr klar, aber sie hatte sich ohnehin für einen ganz bestimmten Mann entschieden: Laszlo.
Laszlo war ganz anders als Mats und die Männer, die sie sonst so kannte. Er war ruhig, einfühlsam und las interessante Bücher. Elaine versuchte sich dem intellektuellen Gegenüber anzupassen und gab ein bisschen an, log hier ein bisschen und verbog sich dort ein wenig. Der Fremde musste ja nicht wissen, dass Elaine noch nie im Leben etwas von Thomas Mann gelesen hatte, aber sie hatte sich eine DVD mit den Buddenbrooks bestellt und beim nächsten Gespräch mit Laszlo ein paar Erkenntnisse einfließen lassen. Sie erzählte dem dunkelhaarigen Mittfünfziger nicht, dass ihre Hauptnahrungsmittel der letzten Monate aus Toastbrot, Pizza und Cola bestanden. Stattdessen ließ sie ein „Warte, ich hab noch einen gebackenen Camembert im Backofen und such mal im Kühlschrank nach Preiselbeeren“ fallen. Laszlo war toll. Bis er das erste Mal etwas Anzügliches sagte, waren mehrere Wochen vergangen. Doch selbst dann machte er nur Andeutungen und sprach von weiblichen Formen und leichtem Zucken der Leiber.
Sie trafen sich jeden Abend ab 23 Uhr im Chatraum und schrieben sich bis in die frühen Morgenstunden. Laszlo pflegte nach der anstrengenden Arbeit als selbständiger Unternehmensberater seine beiden pflegebedürftigen Eltern – darum hatte er zu einer früheren Uhrzeit keine Zeit für „seine atemberaubende Traumfrau“. Elaine war es recht, denn so lebte sie nur in der anonymen Nacht und konnte bei Tag die Sinne ausschalten. Fast hätte sie es an diesem Tage vergessen, so benebelt fühlte sie sich. Ihren schlanken Körper hatte sie in einem alten, rosafarbenen Jogginganzug versteckt, an den nackten Füßen trug sie lediglich ein paar ausgelatschte Hausschuhe. Sie hatte sich seit drei Wochen die Beine nicht rasiert und ihre Fingernägel waren unlackiert und brüchig. Das kurze Piepen ihres virtuellen Briefkastens ließ sie aufschrecken und sie setzte sich an den PC.
Nachricht von Laszlo
Guten Abend, meine Schönheit! Wie war dein Tag?
Elaine
Hallo! Ach, ein bisschen anstrengend, ich hab bis eben das Gästebad gestrichen! Und bei dir?
Laszlo
Toll, dass du so kreativ bist. Ich liebe Frauen, die anpacken können. Komm grad von meinen Eltern. Aber reden wir lieber von mir… Was hast du an, meine atemberaubende Traumfrau?
Elaine
Du, nichts Tolles, ich habe mir nur eine alte Latzhose über die Unterwäsche gezogen. Peinlich!
Laszlo
Das muss dir doch nicht peinlich sein! Du siehst bestimmt wunderhübsch aus. Sag, wollen wir ein
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