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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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versunken, dass er den Pfl eger überhörte, der den alten Mann im Rollstuhl zur Physiotherapie schob. Beide summten gerade gemeinsam den Refrain des Abba-Klassikers »Money, Money, Money«, als Stern um die Ecke des Krankenhausfl urs bog und ungebremst in sie hineinlief. Er knallte seitlich gegen das Chromgefährt, verlor das Gleichgewicht und suchte mit den Händen verzweifelt nach einem Halt. Nachdem er am Ärmel des Pfl egers abgerutscht war, stützte er sich hilfl os auf dem Kopf des Patienten ab und hielt sich schließlich beim Fallen an dessen Handgelenk fest. Dadurch riss er dem Mann im Rollstuhl den Kanülenzugang seines Tropfs heraus, bevor er auf dem mintgrünen Linoleumboden hinschlug.
2.
D u liebe Güte, Herr Losensky?« Der bärtige Pfl eger kniete
besorgt vor dem Patienten, der jedoch halb belustigt abwinkte.
»Nichts passiert, nichts passiert. Hab doch einen Schutzengel.« Der Alte zog eine Kette unter seinem T-Shirt hervor, an der ein silbernes Kreuz baumelte. »Kümmern Sie sich lieber um unseren Freund da unten.«
Stern rieb sich seine Handballen, die er sich aufgescheuert hatte, als er sich auf dem trockenen Kunststoffboden ab stützen wollte. Die pochenden Schmerzen in seinen Knien ignorierte er, um nicht ein noch jämmerlicheres Bild abzugeben.
»Es tut mir so wahnsinnig leid«, entschuldigte sich Robert, als er wieder auf beiden Beinen stand. »Ist alles okay?« »Wie man’s nimmt«, grunzte der Pfl eger und schob vorsichtig den Hemdsärmel des alten Mannes bis zur Armbeuge hoch. »Den Zugang müssen wir später noch mal legen«, murmelte er mit Blick auf den altersfl eckigen Handrücken und bat Losensky, einen Wattebausch auf die Einstichstelle zu drücken. Dann tastete er den knochigen Arm nach Druckstellen oder Blutergüssen ab. Obwohl er die Hände eines Boxers besaß, waren seine Bewegungen dabei behutsam und fast zärtlich.
»Sind Sie auf der Flucht, oder warum jagen Sie hier durch die Neurologische Station?«
Stern war erleichtert, dass der Pfl eger offenbar nichts Besorgniserregendes entdeckt hatte.
»Mein Name ist Robert Stern, entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr …« Ihm gelang es nicht, das zerkratzte Namensschild am Kittel des Pfl egers zu entziffern. »Franz Marc. So wie der Maler. Aber alle nennen mich Picasso, weil ich die Bilder von dem lieber mag.« »Verstehe. Wie gesagt, es tut mir sehr leid. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.«
»Haben wir gar nicht bemerkt, was, Losensky?« Direkt unter Picassos Ohrläppchen liefen zwei dichte Koteletten wie Klettverschlüsse die Wange herab, bevor sie in einen hellbraunen Kinnbart mündeten. Als der Pfl eger beim Lächeln dann auch noch eine gewaltige Zahnreihe entblößte, sah er aus wie ein Nussknacker aus dem Erzgebirge. »Ich komme natürlich für jeden Schaden auf, den ich verur sacht haben sollte.«
Stern zog seine Brieftasche aus der Innentasche seines Anzugs.
»Nein, nein, nein … so läuft das hier nicht«, protestierte Picasso.
»Sie verstehen mich falsch. Ich wollte Ihnen nur meine Visitenkarte geben.«
»Die können Sie mal ruhig steckenlassen, oder, Losensky?« Der Alte im Rollstuhl nickte und zwirbelte sich mit belustigtem Gesichtsausdruck eine seiner gewaltigen Augenbrauen. Im Gegensatz zu seinem sonst lichten Haupthaar wölbten diese sich wie zwei mächtige Büschel aus Stahlwolle über seine eingefallenen Augenhöhlen.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht.«
»Sie haben uns beiden eben einen bösen Schreck eingejagt. Und Frederik ist nach seinem zweiten Herzinfarkt nicht mehr sehr belastbar, nicht wahr?«
Der alte Mann nickte.
»Da werden ein paar Scheine wohl nicht ausreichen, wenn Sie hier ohne weiteres Aufsehen davonkommen wollen.« »Sondern?« Stern grinste nervös und fragte sich, ob er hier zwei Irre vor sich hatte.
»Wir wollen, dass Sie sich bücken.«
Er wollte Picasso gerade den Vogel zeigen und weggehen, als er den Scherz begriff. Er lächelte, hob die Mütze zu seinen Füßen auf und gab dem Mann im Rollstuhl seine schwarze Baseballkappe zurück, die er ihm vorhin vom Kopf gerissen haben musste.
»Genau. Jetzt sind wir wieder quitt.« Picasso lachte, und sein älterer Schützling gluckste wie ein kleiner Schuljunge. »Sie sind ein Fan?«, fragte Stern, während der Alte die Mütze umständlich mit beiden Händen zurechtrückte. ABBA
prangte in goldenen Lettern an ihrer Stirnseite. »Na klar. Ihre Musik ist göttlich. Was ist denn Ihr Lieblingshit von denen?«
Der alte Mann lüpfte

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