Das Kleine Buch Der Lebenslust
Ringelnatz zeichnet sich durch seine satirischen Verse aus. Doch hinter der Satire steckt bei ihm offensichtlich noch mehr: eine Lust, die üblichen Vorstellungen der Menschen in Frage zu stellen und den Menschen auf neue Wege zu weisen. Dass seine Satire nicht aus Verzweiflung oder aus kritischer Absicht kommt, wie es häufig der Fall ist, sondern aus einer positiven Quelle, Lust am Leben, aus der Sehnsucht, das Leben einfach nur zu genießen, anstatt sich über die Pflichten den Kopf zu zerbrechen und über die Erwartungen der Menschen nachzudenken, inwieweit wir sie erfüllen müssen oder sollten oder könnten, zeigt sich in dem Gedicht über die Sommerfrische:
„Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.
Verstecke dich faul in die Fülle der Gräser.
Weil’s wohl tut, weil’s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel,
was dir kommt.
Und lasse deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.“
Ein fröhliches Gedicht, ein phantastisches Spiel mit Bildern und Worten, das den Ernst des Lebens für einen Augenblick vergessen lässt, das eine kosmische Melodie der Schöpfungslust und Selbstvergessenheit und des Daseins im Augenblick anstimmt. Und das, indem es die Gedanken ohne Ziel und Zweck „hüpfen“ lässt, nichts anderes ist als Sprache gewordene Lebenslust. Auch Ringelnatz ist überzeugt: Es gibt nichts Schöneres unter dem Himmel.
Jeder Augenblick ein Wunder – Genieße deine Zeit
Jeder Augenblick ein Wunder
Genieße deine Zeit
Wach auf!
Max Frisch erzählt in seinem Roman „Homo faber“, wie er die Menschen beobachtet, die nur mit sich und ihren Lasten beschäftigt sind. Die Lastenträger schauen nur auf den Boden und sehen nicht das Glück, das sie umgibt. Auch die Herren, die sich in Sänften tragen lassen, haben ausdruckslose Gesichter, die nichts von dem Glück wissen, das bereitliegt, auch in ihr Herz einzudringen: „Leute kamen des Weges, Gesichter, als wüssten sie nicht, wie nahe am Glück sie wohnen, wie offen die Tore uns stehen. Man hätte stutzen können, wie sie des Weges kamen, Krämer, die eben auf dem Markte waren, Kulis, die ihre Lasten trugen, die auf den Boden blickten, damit sie nicht stolperten und das Genick nicht brachen unter ihren Lasten, Herren auch, die sich in einer Sänfte tragen ließen, lächelnd, fächelnd. Man hätte stutzen können. Sie gafften mich an, die Träger, die Herren – man hätte sie packen mögen, den ersten besten, einen Wasserträger zum Beispiel: „Mensch, Freund, wissen Sie es denn nicht?“ – „Was?“ – „Wie selig, wie herrlich, wie wunderlich das Leben sein kann, sehen Sie es denn nicht. Ein solcher Morgen ...“
Glück hat demnach etwas mit Aufwachen zu tun. Wir sind so sehr mit uns beschäftigt, dass wir die Wirklichkeit nicht sehen, die uns umgibt. Das Glück ist für Max Frisch nicht etwas rein Subjektives. Es liegt in der Frische des Morgens, im Zauber des Augenblicks, in der Schönheit der aufgehenden Sonne. Doch wer nicht aufwacht, kann das Glück nicht wahrnehmen, das ihn umgibt.
Das Leben ist so bunt
Jeder Tag zeigt es aufs neue: Dass das Leben schön ist, muss man einem nicht erst mit Vernunftargumenten nahe bringen. Man braucht nur seine Sinne öffnen, die Augen aufmachen für das Leben, sich einlassen auf die schönen Dinge um uns herum.
„Schau, das Leben ist so bunt“, beginnt ein Gedicht von Selma Meerbaum Eichinger. Wenn wir es lesen, dann werden auch wir unmerklich zu einer anderen Sicht unseres Lebens gedrängt. Indem wir ihre Verse, ihre Bilder, ihre Eindrücke in uns aufnehmen, wächst in uns die Lust am Leben. Wir sehen das Leben auf einmal leichter und heller. Wer einen solchen Text auf sich wirken, wer ihn in sich eindringen lässt, wird tatsächlich spüren, dass er in ihm etwas auslösen kann:
„Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
Und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
So breit und hell, als warte sie auf mich ...“
Jeder neue Tag ist eine solche Einladung. Jeden neuen Morgen wartet das Leben auf mich, hell und bunt.
Wunder des Morgens
Morgenmuffel würden wohl nie diese Verse von Juan Ramon Jimenez aussprechen.
„Glücklicher Tagesanbruch
Augenblickliche Süße
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