Das Kleine Buch Der Lebenslust
bestimmen lassen.
Es ist unsere Entscheidung, ob wir uns die 60 glücklichen Sekunden entgehen lassen, indem wir uns dem Ärger hingeben, oder ob wir sie dankbar annehmen und sie genießen können. Die 60 glücklichen Sekunden sind sicher nicht geprägt von vielen glücklichen Ereignissen. Denn in einer Sekunde kann nicht viel geschehen. Doch allein, indem ich die Sekunde wahrnehme und ganz im Augenblick bin, erlebe ich sie als glücklich.
Geschmacksreichtum
„Sauer, süß, bitter, scharf, alles muss geschmeckt werden“, sagen die Chinesen. Im chinesischen Restaurant werden die Speisen mit verschiedenen Saucen serviert. Da gibt es Hühnerfleisch mit süßsaurer Sauce. Und es gibt besonders scharfe Speisen. Jede von ihnen hat ihren besonderen Geschmack. Wenn ich mich darauf einlasse, dann genieße ich jede Speise, gleich welchen Geschmack sie hat. Das chinesische Sprichwort sagt: Auch das Bittere kann dann zu einer Lebensqualität werden, die zu mir gehört. Auch im Bitteren kann ich Lebendigkeit spüren.
Ich erlebe immer wieder Menschen, die die Speisen, die sie nicht kennen, zurückweisen. Sie essen nur, was sie kennen. Doch sie bringen sich um den Reichtum der vielen Geschmacksrichtungen, die es gibt. Alles gehört zum Leben: das Sauere, Süße, Bittere und Scharfe. Aber alles muss geschmeckt werden, damit ich das Leben darin wahrnehme.
Und wenn sich alles dreht ...
Oft haben wir das Gefühl: Alles dreht sich immer schneller. Der Mystiker Angelus Silesius weist uns darauf hin, dass wir selber es sind, die entscheiden, wie wir mit der Hetze umgehen:
„Nichts ist, das sich bewegt,
du selber bist das Rad,
das aus sich selber lauft
und keine Ruhe hat.“
Natürlich ist unsere Zeit schneller geworden. Aber ob ich mich dieser schnellen Zeit anpasse oder nicht, ist meine Entscheidung. Ob es in mir schnell wird, das liegt an meinem Rad. Ich kann anschauen, wie alles an mir vorüberzieht. Dann berührt mich die äußere Schnelligkeit nicht.
Ich bleibe der Beobachter. Oder aber ich ziehe mich bei allem äußeren Trubel auf mich selbst zurück. Auch wenn um mich herum Hektik und Unruhe herrschen: Wenn ich in meiner Mitte bin, dann nehme ich die Hetze wahr, ohne mich davon anstecken zu lassen. Natürlich kenne ich die Gefahr, einfach mitzumachen im Karussell, das sich ummich dreht. Aber es ist dann meine Entscheidung. Und ich darf die innere Hetze nicht den anderen anlasten.
Wohin?
„Halt an, wo läufst du hin?
Der Himmel ist in dir.
Suchst du ihn anderswo,
fehlst du ihn für und für.“
(Angelus Silesius)
Was suchen die Menschen, die so schnell herumlaufen? Angelus Silesius ist der Meinung, dass sie letztlich den Himmel suchen, die Heimat, die Geborgenheit, das Ausruhen. Doch sie suchen diese Heimat außerhalb. So laufen sie immer schneller, um irgendwo diesen Himmel zu finden. Sie bräuchten sich nur nach innen wenden. Dann würden sie in sich den Himmel entdecken. Und da haben sie alles, was sie suchen. Da ist ihre Sehnsucht gestillt. Dann können sie stille werden, stehen bleiben und gestillt werden durch Gott, der in ihnen wohnt und ihnen alles schenkt, wonach sie streben.
Es ist gut, sich immer wieder zu fragen: Warum laufe ich eigentlich so schnell? Was will ich alles erledigen? Warum hetze ich mich? Hetzen kommt ja von hassen. Hetze ich mich, weil ich mich hasse? Oderlaufe ich so schnell, weil ich zuviel auf einmal will? Aber was will ich wirklich? Was ist meine tiefste Sehnsucht? Angelus Silesius spricht unsere tiefste Sehnsucht an: den Himmel. Es ist nicht nur der Himmel, der uns nach unserem Tod erwartet, sondern der Himmel, der in uns ist. Wir sagen von Augenblicken, in denen unsere Sehnsucht erfüllt wurde: es war himmlisch. Doch solche himmlischen Augenblicke können wir nicht festhalten. Sie ziehen an uns vorbei. Wenn wir den Himmel in uns entdecken, dann brauchen wir uns nur nach innen zu wenden. Dann sind wir im Himmel. Dann wird es für uns himmlisch. Dann hören wir auf zu hetzen.
Das kommt davon
„Wir reißen uns ein Bein aus, um schneller ans Ziel zu kommen.“ Das hat der aus dem Schwarzwald stammende Verleger Frank Schwörer einmal gesagt. Dieser paradox hintersinnige Satz trifft ins Schwarze: Von Menschen, die sich anstrengen und alle Mühe geben, sagt man ja in der Tat, „sie reißen sich ein Bein aus“. Mit einem Bein kann man aber nur noch humpeln. Da kommt man ganz sicher nicht schneller ans Ziel. Warum reißen wir uns dann ein Bein aus? Wir meinen, nur wer sich Gewalt antut,
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