Das Kleine Buch Der Wahren Liebe
das keine leere Botschaft ist, zeigen auch die Briefe, die Widerstandskämpfer im Dritten Reich an ihre Frauen kurz vor ihrem Tod geschrieben haben. Diese Männer waren überzeugt, dass die Henker ihnen zwar das Leben nehmen können, aber nicht die Liebe zu ihren Frauen. Und sie vertrauten darauf, dass sie sich einst wieder sehen werden und dass dann ihre Liebe vollendet würde.
Dass nicht nur die Männer an den Sieg der Liebe über den Tod glaubten, das wird deutlich in dem Brief, den Freya an ihren Mann Helmuth James von Moltke schrieb, der im Januar 1945 zum Tod verurteilt im Gefängnis auf seinen Henker wartete: „Mein Herz, ich glaube genau zu wissen, wie es in Dir aussieht, ich bin zwar weit hinter Dir zurück und werde es bleiben, aber deshalb gehöre ich doch zu dir und so bleibt es auch für immer. Ich werde leben müssen und das wird schwer werden, aber es wird gehen, denn ich werde Dich weiter lieben dürfen. Ich werde Dich in Gott lieben und Dich so nicht stören auf den Wegen, die Du gehen wirst, und Gott werde ich mehr und besser lieben als bisher. Du musst aber bitte in der Gewissheit sterben, dass ich außer Gott nur Dir gehöre.“
Die junge Frau – Freya ist beim Tod ihres Mannes noch keine 34 Jahre alt - weiß um den Schmerz, ohne ihren Mann weiter leben zu müssen. Aber sie vertraut darauf, |145| dass es ihr gelingt. „Denn ich werde Dich weiter lieben dürfen.“ Der Tod hindert sie nicht daran, ihren Mann weiterhin zu lieben. Sie wird ihn in ihrer Liebe nicht festhalten. Sie wird ihn in Gott lieben. Und so wird ihre Liebe zu Gott vertieft. Ihre Liebe zu ihrem Mann erinnert sie immer wieder daran, dass er jetzt in Gott ist. Und so verbindet die Liebe zu ihrem Mann sie auch mit Gott. Ihr verstorbener Mann wird ihr zum Begleiter auf ihrem Weg zu Gott.
Der Brief Freyas kann vielen Frauen, die ihren Mann durch den Tod verloren haben, zum Trost werden. Viele sind verzweifelt. Sie haben den Eindruck, das Wertvollste und Liebste, das ihr Leben ausgemacht hat, ist ihnen genommen worden. Sie finden keinen Boden mehr unter den Füßen. Die Gedanken der jungen Gräfin können ihnen diesen Schmerz nicht nehmen. Aber sie können Hoffnung schenken: dass die Trauer ein Ziel hat, dass die Liebe weiter geht, auf andere Weise, aber doch auf eine Weise, die ihrem Leben Sinn gibt. In der Liebe zu ihrem verstorbenen Mann können sie eine neue Weise der Liebe zu Gott entdecken und erkennen, dass ihnen die Liebe zu ihrem Mann nicht genommen, sondern nur verwandelt werden kann. Dieses Vertrauen, das die Gräfin in ihrem Brief ausgedrückt hat, könnte Trost verleihen. Trost heißt ja: Festigkeit. Mitten in der Trauer, in der meine Füße wanken, bekomme ich wieder Boden unter den Füßen, vermag ich mich wieder dem Leben zu stellen. Die Liebe, die Himmel und Erde verbindet, wird zum Boden, der mir festen Halt verleiht.
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Wir können die Grenze unseres Todes nur annehmen, wenn wir wissen, dass in uns zugleich etwas ist, das durch diese Grenze nicht beschränkt werden kann. Dieses Grenzenlose in uns ist die Liebe. Die Liebe überschreitet die Grenze des Todes. Aber sie akzeptiert zugleich diese Grenze.
Im Tod überschreiten wir endgültig die Schwelle zum ewigen Leben, zum göttlichen Leben. Da werden wir für immer im Haus des Lebens und im Haus der Liebe wohnen.
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„Was kümmert mich die Dürre Sonne?
Ich schaffe die blaue Quelle in meinem Innern.
Schnee oder Licht – was tut’s?
Ich schaffe in meinem Herzen die rotglühende Schmiede.
Was kümmert mich menschliche Liebe?
Ich schaffe der Liebe Ewigkeit in meiner Seele.“
In diesem Gedicht von J. R. Jimenez wird deutlich, was es heißt: mit den eigenen inneren Quellen in Berührung kommen. Mit meiner Vorstellungskraft kann ich in mir eine eigene Welt schaffen. Und die kann genauso wirklich und wirksam sein wie die äußere Welt, die mich überfordert oder traurig stimmt. Es gibt Menschen, die ständig über ihre Einsamkeit klagen und die das Gelingen ihres Lebens von der Zuwendung anderer abhängig machen. Jimenez zeigt einen anderen Weg: Ich kann in meiner Seele der Liebe einen Ort der Ewigkeit schaffen. Das heißt: Ich fixiere mich nicht auf den Mangel an Liebe, an dem ich leide. Ich schaue nicht nach anderen aus, um zu fragen, ob sie mich lieben oder nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass in mir eine Quelle göttlicher Liebe ist, die nie versiegt, nie aufhört, die ewig ist. Diese Vorstellung befreit mich
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