Das Kleine Buch Der Wahren Liebe
Alte begraben und neu anfangen. Vergeben heißt nicht, es sich selbst und dem anderen zu leicht zu machen. Die Untreue muss aufgearbeitet werden. Dann kann sie begraben werden. Dann wird sie nicht mehr zum Vorwurf gegen den anderen dienen, ein neues Miteinander wird möglich.
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Wenn ich vom Partner erwarte, dass er dies oder jenes ändert, dann bin ich immer wieder enttäuscht, dass er es doch nicht tut. Und oft genug fühlt sich der andere von meinen Erwartungen erdrückt. Weil er den Erwartungen nicht gerecht werden kann, wird er aggressiv. Und ich selbst reagiere auf die Nichterfüllung der Erwartungen mit Enttäuschung. Hoffen ist – so sagt der französische Philosoph Gabriel Marcel – immer Hoffen auf dich und Hoffen für dich.
Viele werfen sich gegenseitig vor: „Ich sehe nichts von dem, was du mir versprochen hast. Du wolltest doch das oder jenes ändern. Ich sehe bei dir gar keine Bemühung, etwas zu verbessern.“ Solche Worte legen den anderen fest auf das Sichtbare. Die Hoffnung sieht auf das Unsichtbare. Sie hofft darauf, dass im anderen etwas ist, was ich noch nicht sehe, was aber irgendwann zum Vorschein kommen will. Ohne Hoffnung wird das Zusammenleben zur Hölle, wie Sartre es beschrieben hat. Dante hat über die Hölle das Wort gesetzt: „Lass alle Hoffnung fahren!“ Die Hoffnung gibt den anderen nie auf und auch sich selbst nicht. Ich fange immer wieder neu an. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir einen Weg zueinander finden. Menschen ohne Hoffnung lassen dem anderen vielleicht zwei oder drei Chancen. Dann ist es mit ihrer Geduld zu Ende. Die Hoffnung hat einen langen Atem. Sie hofft auf das, was sie noch nicht sieht. Damit ermöglicht sie auf Dauer eine Entfaltung und Verwandlung.
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Vorwürfe wecken die Liebe nicht auf, im Gegenteil, sie vertreiben sie. Es gilt, sich einverstanden zu erklären mit der Durchschnittlichkeit der eigenen Liebe und der Liebe des Ehepartners. Wenn ich die Durchschnittlichkeit betrauere, dann führt mich das Betrauern in den Grund meiner Seele. Und dort entdecke ich das große Potenzial an Liebe, das Gott mir geschenkt hat. Dann kann ich auf einmal die positiven Seiten der Liebe entdecken: Wir gehen fair miteinander um. Wir achten einander. Wir stützen einander. Wir sind einander treu. Das alles ist Ausdruck unserer Liebe. Wir können sie nicht immer in Gefühlen ausdrücken. Die Gefühle kommen und gehen. Doch die Liebe, die jenseits der Gefühle ist, die göttliche Liebe, die als Quelle unsere menschliche Liebe speist, bleibt immer.
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Saint Exupery sagt einmal: „In der Sehnsucht nach Liebe ist schon Liebe.“ Statt zu klagen, dass ich zu wenig Liebe erfahre, zu wenig Geborgenheit, zu wenig spirituelles Angerührtsein, nehme ich in mir die Sehnsucht danach wahr. Und in der Sehnsucht ist schon das, wonach ich mich sehne. Manche jammern, dass ihre Liebe zu einem andern Menschen nicht erfüllt wird. Sie fühlen sich todunglücklich. Auch da ist es besser, statt sich in das Unerfülltsein zu verbeißen, einfach die Liebe zu spüren, die ich in meinem Verliebtsein wahrnehme. In mir ist schon Liebe. In der Sehnsucht nach dem andern spüre ich mich selbst und die Liebe, die in meinem Herzen ist.
Viele laufen vor ihrer Sehnsucht davon, weil sie meinen, ihre Sehnsucht erzeuge in ihnen nur Schmerz. Sie schauen nur nach dem, was sich nicht erfüllt. Doch die Sehnsucht hat eine eigene Qualität. Sie macht uns lebendig und weit. Ohne Sehnsucht verliert die menschliche Seele ihre Spannkraft.
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Wenn wir in uns eine Sehnsucht nach etwas Weltjenseitigem spüren, nach einem Ort, der diese Welt übersteigt, dann können wir uns aussöhnen mit der oft so banalen Wirklichkeit unseres Lebens, ohne sie ideologisch verbrämen oder schönreden zu müssen. Dann sind wir nicht enttäuscht, wenn der von uns geliebte Mensch unsere tiefste Sehnsucht nach absoluter Liebe nicht erfüllen kann. Dann überfordern wir unsern Ehepartner nicht mit Erwartungen, die ein Mensch gar nicht erfüllen kann. Ich erlebe immer wieder, wie Menschen von dem, den sie lieben, erwarten, dass er sie heile, dass er sie erlöse und befreie und ihrem Leben einen letzten Sinn schenke. Aber das sind Erwartungen, die kein Mensch erfüllen kann. Die Sehnsucht relativiert unsere Erwartungen an einen Menschen, damit wir fähig werden, menschlich miteinander umzugehen, ihn so zulassen, wie er ist. Dann müssen wir ihn nicht absolut setzen und ihn mit Gott verwechseln, dem er nie
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