Das kleine Gespenst
Wachen vor seinem Zelt?"
„Und ob da Wachen gestanden haben! Ein Leutnant mit zwanzig Mann, oder lassen Sie's fünfundzwanzig gewesen sein. Sie haben mich aufhalten wollen und haben mit ihren Säbeln und Spießen nach mir gestochen und der Leutnant hat sogar die Pistole gezogen und einen Schuss auf mich abgefeuert. Aber Sie wissen ja: Säbel und Spieße können mich nicht verletzen und Kugeln fügen mir keinen Schaden zu; das geht alles durch mich hindurch wie durch Rauch und Nebel. Man hat mich nicht hindern können, ich bin in das Generalszelt hineingehuscht."
„Und als Sie drin waren?", fragte der Uhu.
„Da habe ich diesem Torstenson ordentlich eingeheizt. ,Wenn dir dein Leben lieb ist', habe ich ihm gedroht und dabei mit den Armen gefuchtelt und schrecklich herumgefaucht, ,wenn dir dein Leben lieb ist, dann brich die Belagerung auf der Stelle ab und verschwinde mit deinen Soldaten auf Nimmerwiedersehen!'"
„Und der Herr General?"
„Der hat dagestanden, barfuß, im Spitzen besetzten Nachthemd und hat mit den Zähnen geklappert und grässliche Angst gehabt, Und dann ist er vor mir auf die Knie gefallen und hat um Gnade gebettelt. ( Verschon mich!', hat er gerufen, ,verschon mich! Ich will alles tun, was du von mir forderst!' Da habe ich ihn beim Kragen gepackt und ein bisschen gebeutelt. ,Das möchte ich aber auch hoffen!', habe ich ihm geantwortet. ,Morgen früh rückst du ab von hier! Und lass es dir ja nicht einfallen, jemals wiederzukommen, verstanden? Lass dir das ja nicht einfallen!'"
„Donnerwetter! - Und Torstenson?"
„Torstenson hat pariert. Am nächsten Morgen, dem Morgen des 27. Juli, ist er mit seiner Armee davongezogen. Hals über Kopf sind sie abgerückt, Reiterei, Kanoniere und Fußsoldaten, er selber mit seinem Feldherrnstab vorneweg."
„Und - er ist tatsächlich nie mehr wiedergekommen? ", wollte der Uhu wissen.
„Tatsächlich nie mehr", sagte das kleine Gespenst und kicherte.
Die Geschichte vom kleinen Gespenst und dem großen schwedischen General Torsten Torstenson war zu Ende. Eine Zeit lang hockten die beiden Freunde schweigend auf ihrem Ast und blickten ins Tal hinab: auf den Fluss, der im Mondlicht schimmerte, und auf die Türme und Dächer des Städtchens Eulenberg mit ihren Wetterfahnen und Schornsteinen, ihren Treppengiebeln und Erkern. Man konnte die wenigen späten Lichter zählen und zusehen, wie sie eins um das andere ausgingen: hier eines - dort das nächste.
Das kleine Gespenst auf Burg Eulenstein stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Schade", sagte es, „dass ich den Fluss und das Städtchen immer nur nachts sehe, wenn der Mond scheint, und niemals bei Tageslicht!"
Der Uhu ließ ein verächtliches Knurren hören.
„Reden wir nicht vom Tageslicht", bat er, „mir tun bei dem bloßen Wort schon die Augen weh! Ich finde, der Mondschein ist hell genug, heller mag ich es gar nicht."
„Und trotzdem!", meinte das kleine Gespenst. „Trotzdem möchte ich einmal die Welt bei Tag erleben, ein einziges Mal nur! Bloß um den Unterschied kennenzulernen. Ich könnte mir denken, dass das sehr lehrreich wäre für mich ,.. Und sehr aufregend..."
„Pfuh!", entrüstete sich der Uhu. „Wie kommen Sie bloß als vernünftiges kleines Gespenst auf solch ausgefallene Wünsche?! Glauben Sie mir, lieber Freund - ich bin einmal bei Tageslicht unterwegs gewesen und habe für alle Zeiten genug davon!"
Das kleine Gespenst horchte auf.
„Davon weiß ich ja gar nichts, das müssen Sie mir erzählen, Herr Schuhu! Am besten jetzt gleich!"
Der Uhu plusterte sein Gefieder auf, spitzte die Ohren und schüttelte sich. Es schien ihm nicht leicht zu fallen, mit dieser Geschichte herauszurücken.
„Es war", begann er, „in meinen jungen Jahren. Damals unternahm ich von Zeit zu Zeit ausgedehntere Flüge in die Umgebung des Eulensteins, teils um zu jagen und teils aus Neugier. Dabei geschah es mir einmal, dass ich mich in der Zeit irrte - und was meinen Sie: Plötzlich merke ich, dass der Morgen graut! Na, ich kann Ihnen sagen! Zum Eulenstein waren es mindestens sieben Meilen. Ob ich ihn noch erreichte, ehe die Sonne aufging? Ich flog, was die Flügel hergaben, aber die Sonne war schneller. Etwa auf halbem Weg überraschte sie mich. Ich musste sogleich die Augen schließen, weil ihre grellen Strahlen mich blendeten ... Wissen Sie, wie es einem zumute ist, wenn man fliegen muss, ohne etwas dabei zu sehen?"
„Ich kann es mir ungefähr denken", sagte das kleine Gespenst.
„ O nein!",
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