Das kleine Gespenst
klein und schwarz und sie hatte weiße Augen, die in der Finsternis leuchteten wie zwei silberne Monde.
„Da ist es!", rief Jutta und musste vor Freude schlucken. „Da ist es ja!"
Das kleine Gespenst kam zu ihnen ans Fenster geschwebt. In der Linken trug es den Schlüsselbund, mit der Rechten winkte es den Geschwistern zu,
„Ich danke euch, liebe Kinder, ich danke euch tausendmal! Es ist nicht zu beschreiben, wie glücklich ihr mich gemacht habt durch eure Hilfe. Hätte ich einen Schatz zu hüten, ich schenkte ihn euch. Aber alles, womit ich euch danken kann, ist ein guter Wunsch. Und so wünsche ich euch, dass ihr wenigstens einmal im Leben so glücklich sein dürft, wie ich es heute bin."
„Das ist lieb von dir", sagte Jutta und keines der Kinder stieß sich daran, dass sie das kleine Gespenst geduzt hatte.
Auch das kleine Gespenst fand das ganz in Ordnung,
„Nicht wahr, ihr seid nicht böse, wenn ich mich jetzt empfehle?", sagte es. „Aber es zieht mich gewaltig zurück nach dem Eulenstein. Ich kann es schon kaum erwarten, bis ich zu Hause bin."
„Aber klar", sagte Günther; und Herbert meinte: „Lass dich nicht aufhalten, kleines Gespenst, wir verstehen das."
Nun schwebte das kleine Gespenst nach Hause: über die Dächer des schlafenden Städtchens hinweg zum Rathaus, vom Rathaus über den Grünen Markt nach dem Oberen Tor und vom Oberen Tor zu der Burg hinauf.
„ Lebt wohl da unten, ihr Bürger von Eulenberg! Ihr habt in den beiden letzten Wochen allerlei Ärger mit mir gehabt, doch nun seid ihr mich endlich los und das ist die Hauptsache, Jedenfalls habe ich nicht die geringste Absicht, mich jemals wieder im Städtchen zu zeigen. Ich bleibe von nun an dort, wohin ich
gehöre. Von meiner Burg soll mich nichts mehr weglocken, nicht einmal meine eigene Neugier!"
Dreimal umkreiste das kleine Gespenst die Mauern des Eulensteins, dreimal den Burgturm und dreimal das Herrenhaus mit dem Rittersaal. Alles war unverändert, obwohl es ihm vorkam, als sei es seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen.
„ Ob ich dem General meine Aufwartung mache?", dachte es. „Aber nein, das hat Zeit bis zur nächsten Regennacht. Heute habe ich etwas sehr viel Wichtigeres zu erledigen ..."
Der Uhu Schuhu saß im Geäst der hohlen Eiche und wunderte sich kein bisschen, als plötzlich das kleine Gespenst heranschwebte und sich an seiner Seite niederließ.
„ Sie gestatten, Herr Schuhu?"
„Ich wüsste nicht, was ich lieber gestattete."
Eine Zeit lang hockten die beiden Freunde nebeneinander und schwiegen.
„Man hat Ihnen also geholfen?", fragte der Uhu schließlich.
„Man hat, wie Sie sehen", sagte das kleine Gespenst. „Der Rat, den Sie Jutta und ihren Brüdern gestern gegeben haben, war Gold wert. Ich danke Ihnen dafür!"
„Bitte, bitte, mein Lieber!" Der Uhu plusterte sein
Gefieder auf. „Es war, unter uns gesagt, reiner Eigennutz."
„Eigennutz ..."
„Reiner Eigennutz!", wiederholte der Uhu und nickte dabei zur Bekräftigung mit dem Kopf. „Ich fand es allmählich langweilig ohne Sie. Das Leben gefällt mir bedeutend besser, wenn jemand da ist, der einem Gesellschaft leistet. Sie haben gewiss eine ganze Menge erlebt in Eulenberg. Bitte, erzählen Sie!"
„Wie Sie wünschen", sagte das kleine Gespenst.
Es wollte gerade anfangen, seine Abenteuer im Städtchen zum Besten zu geben: wie es den Schutzmann erschreckt und die Marktfrauen auf dem Grünen Markt verscheucht hatte, seinen Auftritt im Rathaus und die Geschichte mit Torstenson und den Schweden, die keine waren - da geschah etwas Unerwartetes, etwas, wodurch es am Weitererzählen gehindert wurde, bevor es noch richtig damit begonnen hatte.
Auf einmal trat nämlich hinter dem dichten schwarzen Gewölk, das den Himmel bedeckte, der Mond hervor, groß und rund, eine Scheibe von blankem Silber.
Und einer der silbernen Mondstrahlen traf das kleine Gespenst.
Und dem kleinen Gespenst wurde unsäglich wohl zumute, Es fühlte sich leicht und frei, viel leichter und freier, als es sich je gefühlt hatte.
Und dann merkte es plötzlich: Ich bin ja auf einmal kein schwarzes Gespenst mehr, ich leuchte ja wieder, ich bin ja weiß!
„Ich bin weiß!", rief es staunend und glücklich aus, „Ich bin weiß, ich bin weiß, ich bin weiß, weiß, weiß, weiß!"
Da lachte der Uhu Schuhu und meinte: „Das wundert Sie wohl? Aber eigentlich ist es ganz einfach und selbstverständlich, mein lieber Freund. Die Sonne war schuld daran, dass Sie schwarz wurden
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