Das kleine Reiseandenken
war überwältigt gewesen. Und Onkel Peter hatte den Brief, der in einem etwas unbeholfenen, aber verständlichen Deutsch geschrieben war, wieder und wieder laut vorgelesen. Er hatte ihn von vorn bis hinten und von hinten nach vorn gelesen und die Brauen gerunzelt, während er grübelte. Er und Tante Margrete hatten von der Verantwortung gesprochen, die sie für Ingrid hätten und ob sie sie in das fremde Land schicken könnten, so weit von zu Hause weg?
Es waren zwischen Tante Agate und Onkel Peter mehrere Briefe hin und her gegangen. Zum Schluß schrieb Ingrid selber, mit ihrer saubersten Schrift, dankte tausendmal für die Einladung, und sie würde gern kommen.
Tante Margrete hatte alle die kleinen Dinge hervorgeholt, die Tante Agate im Laufe der Jahre geschickt hatte. Es war wohl das beste, Ingrid nahm sie mit, dann konnte Tante Agate doch sehen, daß sie benutzt wurden.
Aber Tante Margrete hatte ein wenig den Kopf geschüttelt. Es waren wirklich sonderbare Geschenke für so ein kleines Mädchen. Ein braunes Portemonnaie, das wie ein Tabaksbeutel aussah, mit Wachstuch gefüttert – eine Hülle für Streichholzschachteln, mit einer dänischen Flagge drauf und dem Wort Kopenhagen – ein Heft mit farbigen Zeichenserien und einem Text, von dem Ingrid natürlich kein Wort verstand. Das Heft war außen vergilbt, so als habe es in einem Schaufenster in der Sonne gelegen. Und dann waren da noch ein Haufen Filmfotos, wie sie früher ab und zu in Zigarettenpackungen lagen.
Nicht zu verwundern, daß Onkel Peter und Tante Margrete den Kopf geschüttelt hatten.
Aber die Erklärung erhielten sie in dem letzten Brief, den Tante Agate schickte, in dem Brief mit der Fahrkarte und der Angabe des Reisetages. In diesem Brief erwähnte sie, daß sie einen kleinen Tabakladen habe…
„Dachte ich’s mir nicht?“ sagte Onkel Peter.
Ingrid legte den Brief in die Tasche zurück. Sie wollte den nächsten hervorholen. Da fiel ihr Blick auf die Uhr, und sie sah, daß sie nur noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt des Zuges hatte.
Sorgfältig machte sie die Schultertasche wieder zu, hob den Koffer auf, drückte die Tüte mit den Apfelsinen an sich und ging durch die Tür, über der „Zoll – Douane“ stand.
Die uniformierten Beamten standen jetzt auf ihren Plätzen hinter den langen, niedrigen, mit Metallplatten belegten Tischen. In einem Raum davor saßen die Beamten für die Paßkontrolle in ihren Käfigen aus Maschendraht – wie grün uniformierte Kaninchen, dachte Ingrid.
Sie mußte bei dem Vergleich lachen, und so kam es, daß der erste Reisende, dessen Paß für die Ausreise gestempelt wurde, ein lachendes Mädchen mit langen goldenen Haaren und einer Tüte Apfelsinen im Arme war…
Alles ging viel schneller vonstatten, als sie geglaubt hatte. Schon fünf Minuten später stand sie auf dem Bahnsteig, diesmal jenseits der Schranke.
Nun gab es keinen Weg zurück.
Ingrid ließ den Blick gen Norden schweifen, und mit einem Male spürte sie einen Kloß im Halse. Sie sah auf die Uhr. Zu Hause hatten sie jetzt zu Mittag gegessen. Heute mußte Elke allein aufwaschen.
Geschirr aufwaschen machte gar nicht so furchtbaren Spaß. Und dennoch… Mit einem Male wurde Ingrid von der Sehnsucht nach der Küche zu Hause überwältigt, nach all den gebrauchten Tellern, nach der großen Spülwanne – nach dem Geplauder und den Mühen mit den Zwillingen, die immer störten und immer im Wege waren…
Ob Monika wohl im Kaninchenstall ordentlich saubergemacht hatte? Eigentlich war sie noch zu klein, um lebende Tiere zu versorgen. Ob sie daran gedacht hatte, ihnen frisches Futter hinzustellen?
Ingrid hatte eine sorgenvolle Falte zwischen den Brauen und merkte nicht, daß es rings um sie her lebendiger geworden war. Es kamen immer mehr Reisende hinzu. Hinter ihr fuhr eine große Gepäckkarre mit Kisten und Säcken und Koffern heran.
Ihre Gedanken waren immer noch bei den Kaninchen – wenn sie bloß nicht Durst hatten… und ob Monika an das Nistkästchen für das trächtige Weibchen dachte?
Ein sonderbares Quieken und Wimmern brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Ihr hellhöriges Ohr wußte sofort, was das war. Es mußten Tiere sein – Tiere, die um etwas bettelten.
Und wirklich. Das Gezeter kam aus einer großen Kiste, die auf der Gepäckkarre stand. Ingrid ging um die Karre herum und guckte. Da stand eine Kiste mit Drahtgitter auf der einen Seite, und drinnen…
„Oh, wie sind die süß!“ Sie vergaß ganz, daß sie nicht
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