Das kleine Reiseandenken
fünfundvierzig Pfennig bekommt!“
Ingrid starrte wieder wie gebannt auf all die Haufen Scheine.
„Trotzdem, Inge. So viele Male fünfundvierzig Pfennige…“
Aus Geld wird Glück
„Verstehen tu ich es schon“, sagte Architekt Hall, als er die ganze Geschichte gehört hatte. „Es gibt eben Menschen, die das Geld so lieben, daß sie es keiner Bank anvertrauen wollen. Sie wollen die Münzen und die Scheine sehen, wollen sie – ich hätte beinahe ‚liebkosen’ gesagt. Sie wollen es bei sich haben, immer wieder zählen. Ja, es ist unglaublich, aber so was gibt es. Und Frau Jespersen war ein solcher Mensch. Ja, dann kam sie also ins Krankenhaus, da war sie immer unruhig, etwas quälte sie maßlos. Sie hatte keinen Menschen, dem sie sich anvertrauen konnte. Wenn eine freundliche Nachbarin sie besucht hätte, hätte sie vielleicht das ganze Geld bekommen. Man kann es nicht wissen. Dann kamst du, Ingrid. Ein junger Mensch, der nur zu gut Geld gebrauchen kann, Geld für die Ausbildung, Geld, das deine Zukunft sichern kann.
Frau Jespersen wußte, daß es mit ihr zu Ende ging. Es lag ihr erstens daran, das heißgeliebte Geld zu verschenken, es selbst zu verschenken, so lange, wie sie am Leben war. Damit nichts davon an den Staat als Erbschaftssteuer gehen sollte.
Als dann alles geregelt war, als sie dir das Kuvert in die Hand gegeben hatte, vor Inges Augen, dann war sie ruhig. Und dann erst hat sie im Krankenhaus mitgeteilt, daß sie eine Schwägerin hat. Die ist wahrscheinlich die Alleinerbin.“
„In all der Zeit, als ich bei Tante Agate war“, sagte Ingrid langsam, „hat sie nur ein einziges Mal diese Schwägerin erwähnt, und das sehr kurz und sehr unfreundlich. Ich bekam den Eindruck, daß die beiden sich ernstlich verkracht hätten.“
„Dann war es ja klar, daß sie nervös und ängstlich bei dem Gedanken war, daß diese Schwägerin ihren Schatz finden sollte“, nickte Frau Hall. „Nun ja, Ingridlein, jedenfalls ist es ein Segen für dich! Was machst du nun mit all dem Geld?“
„Ihr werdet glauben, daß ich verrückt bin“, sagte Ingrid mit einem kleinen Lächeln. „Ich, die ich nur die Volksschule habe. Ich werde aber lernen, lernen – ich werde das Abitur machen und ich werde studieren, und ich werde Tierärztin werden!“ Inge legte die Hand auf die ihre.
„Großartig, Ingrid! Nur eine Bitte hätte ich: Mach doch deine Ausbildung in München! Daß ich dich als Haustochter verliere, damit muß ich mich abfinden. Aber wenn du auch arbeitest und lernst und viel um die Ohren hast, könnte ich vielleicht ab und zu mit dir rechnen, abends, meine ich – als Babysitter?“
„Worauf du dich verlassen kannst!“ sagte Ingrid.
Das Telefon klingelte am folgenden Morgen gegen sechs. Es war Schwester Johanna. Frau Jespersen sei vor einer halben Stunde eingeschlafen, ohne zu Bewußtsein zu kommen. Die Schwägerin sei benachrichtigt.
Inge war am Apparat gewesen, sie war es, die es Ingrid erzählte. Ingrid lag noch im Bett, sie horchte wortlos Inges Worten. Dann liefen ihr zwei Tränen über die Wangen. Inge strich ihr übers Haar.
„Wenn deine Tante Agate das gewußt hätte“, sagte sie leise.
„Gewußt was, Inge?“
„Daß jemand bei ihrem Tode Tränen vergießen sollte“, sagte Inge. Ingrid antwortete nicht. Sie wußte ja selbst nicht, warum ihr die Tränen kamen. Und Inge fragte nicht. Vielleicht verstand sie sie ohne Erklärung. Vielleicht verstand sie das, was Ingrid selbst nicht verstehen konnte.
Inge war fertig mit allem, was sie in Kopenhagen zu erledigen hatte. Aber sie und Ingrid blieben noch zwei Tage, damit sie zu Tante Agates Beerdigung gehen konnten. Es war eine unsagbar traurige Beerdigung. Da saß die Schwägerin, da saßen ein paar Nachbarn und drei oder vier getreue Kunden. Das war alles.
Unter den bescheidenen und nicht allzuvielen Blumen war eineinziger großer Kranz, ein Prachtstück aus lauter Rosen. Die Schwägerin wunderte sich. Es war keine Karte dabeigewesen.
Ingrids Augen hingen an dem Kranz. Nur sie und Inge wußten, was er bedeutete: einen Dank, eine Versöhnung, einen Strich unter allem, was schlimm und peinlich und traurig gewesen war.
Zwei Tage später saßen sie wieder in der Wohnung in München. Jan und Inge auf dem Ecksofa, er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Ingrid in dem großen Sessel mit Dixi auf dem Schoß.
„Schade, daß ich dich nicht hinfahren kann“, sagte Jan. „Ich wäre zu gern dabeigewesen, wenn du deinem Onkel Peter
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