Das Kloster der Ketzer
forderte Ansgar Sebastian auf.
Sebastian ließ sich genau so auf das angrenzende Dach hinab, wie Elmar es ihnen vorgemacht hatte. Dabei wandte er den Kopf und wagte einen raschen Blick nach rechts in den Hof hinunter. Er sah zwei Schergen vor dem Portal stehen, die mit Armbrüsten bewehrt waren, die vierspännige Kutsche des Domherrn und weiter rechts beim Stall die Hinterteile von mehreren Pferden, die dort wohl vor der Tränke am Stall angebunden standen. Dann spürte er auch schon Elmars Hände, die nach ihm griffen, um ihm Halt zu geben, bevor seine Hände die Dachkante losließen. Im nächsten Augenblick hockte er neben ihm auf dem Dach der Stallungen und machte sich wieder ganz flach. Auch Ansgar glitt vom höher liegenden Dach des Hauptgebäudes, ohne dabei von den Wachen im Hof bemerkt zu werden.
Sie hängten sich ihre Stiefel wieder um den Hals, griffen zu ihren Waffen und zur Ledertasche mit dem breiten Umhängeriemen und schlichen nun auf Elmars Zeichen hin zur Dachluke, die hinunter auf den Heuboden führte.
»Gebe Gott, dass sie nicht von innen verriegelt ist!«, flüsterte Elmar, schlug hastig das Kreuzzeichen und fasste nach dem hölzernen Griff. Im ersten Moment schien es, als sollte sich ihre Hoffnung nicht erfüllen. Aber die Luke klemmte nur und nach einem kräftigeren Ruck ließ sie sich aufklappen.
»Dem Allmächtigen sei Lob und Dank!«, stieß Ansgar gepresst hervor.
»Nichts wie runter!«, raunte Elmar, kletterte über den Rand, hielt sich kurz mit den Händen rechts und links am Lukenrand fest und ließ sich dann in die Dunkelheit fallen.
Nacheinander landeten sie weich und lautlos im Heu.
»Damit haben wir den gefährlichsten Teil gemeistert«, sagte Elmar mit großer Erleichterung in der Stimme und griff nach seinem Waffengurt, um ihn sich umzuschnallen. Sebastian und Ansgar folgten seinem Beispiel. »Der Rest wird dagegen ein Kinderspiel sein, weil die Schergen sicherlich nicht damit rechnen, dass wir aus dem Stall und dann auch noch zu Pferd ausbrechen.«
»Das mag sein, aber sie werden natürlich sofort unsere Verfolgung aufnehmen«, wandte Ansgar ein, während sie vom Heuberg rutschten und sich im Dunkeln vorsichtig dem Ende des Heubodens entgegentasteten, wo sich die Holzstiege hinunter zum Stall befand. »Und wie wollen wir acht Reiter abschütteln?«
»Ihre Pferde haben schon einen langen und offenbar scharfen Ritt von Passau hierher hinter sich, während unsere Pferde ausgeruht sind. Das verschafft uns einen Vorsprung«, erwiderte Elmar, der mittlerweile die Stiege erreicht hatte. »Und wir werden die Landstraßen meiden, gleich hinter der Allee im Schutz der Wälder einen Haken schlagen, scharf nach Norden hinauf zum Weiler Kreutersroth reiten und von dort den Weg durch die Hochmoore an der böhmischen Grenze nehmen. Dort werden wir sie bestimmt abschütteln!«
»Bei Nacht und zu Pferd durch die Moore?« Ansgar klang erschrocken.
»Keine Sorge, ich kenne mich da oben gut aus«, beruhigte ihn Elmar. »Und jetzt kommt! Wir müssen uns mit dem Satteln der Pferde beeilen! Lange kann es nicht mehr dauern, bis sie
drüben die Tür aufgebrochen haben und feststellen, dass wir uns längst aus dem Staub gemacht haben!«
Sie kletterten die Stiege in den weitläufigen Stall hinunter, in dem es um einiges heller war als oben auf dem finsteren Dachboden, fiel doch ein Rest Tageslicht durch einige der noch offen stehenden Schlagläden.
Es war Sebastian, der die schlanke, schemenhafte Gestalt zuerst bemerkte, die links neben der großen, zweiteiligen Stalltür auf einer Futterkiste saß. Ihm fuhr der Schreck in die Glieder, hielt er die Gestalt im ersten Moment doch für einen der Männer des Domherrn. Dass die schmale Körperstatur kaum die eines Schergen sein konnte, kam ihm im ersten Schreck nicht zu Bewusstsein.
»Da ist jemand!«, stieß er warnend hervor. »Da auf der Kiste!«
Elmar und Ansgar fuhren herum und zogen augenblicklich ihre Degen blank.
»Nur mit der Ruhe! Von mir habt Ihr nichts zu befürchten!«, kam es da ohne große Hast oder gar Angst von der Kiste. Es war eine helle, jugendliche Stimme.
»Wer bist du?«, fragte Elmar leise, aber scharf – die Klinge bereit zum tödlichen Stich.
»Lukas Malberg ist mein Name! Ich bin der Bote aus Passau, der das Schreiben gebracht hat! Mit dem Domherrn und seinen Leuten habe ich nichts zu tun!«, versicherte der Fremde, stellte einen klobigen Holzteller ab und rutschte von der Kiste, sichtlich unbeeindruckt von den
Weitere Kostenlose Bücher