Das Kloster der Ketzer
auch ich an dem Jungen hänge?«, fragte der Verwalter leise zurück, während die Flammen im Kamin aufloderten und den Brief verzehrten.
Ein schwaches Lächeln huschte über ihr ausgemergeltes Gesicht. »Verzeiht, Elmar«, sagte sie hastig. »Ich suchte nur eine Bestätigung dessen, was ich schon wusste. Aber wenn für den Jungen noch eine Chance bestehen soll, müssen wir jetzt schnell handeln!«
»Redet Ihr von mir, Mutter?«
Elmar Gramisch und Gisa von Berbeck wandten den Kopf und sahen zu der halb offen stehenden, doppelflügeligen Kassettentür. Dort stand Sebastian, er hatte einen bauchigen Weidenkorb geschultert, der bis obenhin mit Holzscheiten beladen war.
»Ja, das tun wir«, sagte Gisa von Berbeck. »Stell den Korb ab und komm zu mir. Wir müssen jetzt rasch Abschied voneinander nehmen. Die Zeit drängt!«
Elmar Gramisch nickte nachdrücklich. »Ja, redet mit dem Jungen! Ich hole inzwischen rasch meinen Waffengurt!«, rief er und eilte aus dem Zimmer. Dabei rief er nach Ansgar Brake, seinem Neffen und seiner rechten Hand bei der Verwaltung des Gutes.
Bestürzung zeigte sich auf dem markanten, gut geschnittenen Gesicht von Sebastian, der von kräftiger, mittelgroßer Gestalt war und älter als seine sechzehn Jahre wirkte. Fahrig wischte er sich eine Strähne seines blonden, widerspenstig kraus gelockten Haares aus der Stirn, während er den Korb abstellte und dann schnell zu ihr ans Bett eilte.
»Abschied? Wovon redet Ihr, Mutter?«, fragte er und ergriff ihre Hand, deren Kälte ihn schaudern ließ. »Und was will Elmar mit dem Waffengurt? Ist …«
»Jetzt keine Fragen, mein Junge! Für lange Erklärungen fehlt uns die Zeit!«, fiel sie ihm ins Wort. »Auch habe ich nicht die Kraft dazu. Also hör gut zu, was ich sage! Tassilo von Wittgenstein, der mit seinen bewaffneten Männern gerade unten im Hof eingetroffen ist, hat es auf dich abgesehen. Er ist ein einflussreicher Domherr aus Passau, der Scholasticus 1 der Domschule und ein Mann, der keine Skrupel kennt.«
»Ein Domherr aus Passau hat es auf mich abgesehen? Die Männer sind wegen mir gekommen?« Sebastian schüttelte den Kopf. »Mutter, das kann unmöglich sein! Ihr müsst Euch irren! Ich kenne keinen Tassilo von Wittgenstein! Ich kenne überhaupt keinen dieser mächtigen Herrn des Domkapitels 2 ! Und ich wüsste auch nicht, was ich mit diesen Leuten zu tun hätte. Es muss das böse Fieber sein, das Euch …«
»Ich wünschte, es wäre so«, fiel sie ihm erneut und mit beschwörender Eindringlichkeit ins Wort. »Aber leider ist das, was dir von Tassilo droht, keine Ausgeburt meiner Fieberträume, sondern Wirklichkeit. Du musst mir glauben! Das Schreiben, das der Bote vorhin gebracht hat, sollte mich vor Tassilos hinterhältigem Vorhaben warnen. Gebe Gott, dass die Warnung uns nicht zu spät erreicht hat. Elmar wird dich in Sicherheit bringen, und wenn es jetzt noch jemand schaffen kann, dann er. Er wird dir später alles erklären, mein Junge. Bei ihm bist du in guten Händen!«
»Und ich werde ihn begleiten!«, rief da Ansgar Brake von der Tür her, bevor Sebastian noch Gelegenheit zu einer Erwiderung erhielt. Der hagere Hofknecht hielt einen Waffengurt mit einem Degen in seinen Händen, während Elmar Gramisch hinter ihm gleich zwei Klingen mitbrachte, sollte sich doch auch Sebastian notfalls seiner Haut erwehren können.
»Diese Gefahr willst du wirklich auf dich nehmen?«, sagte Gisa von Berbeck sichtlich berührt.
Ansgar Brake nickte nachdrücklich. »Wenn Ihr und der selige Herr von Berbeck damals nicht gewesen wäret und Ihr Euch nicht für mich bei Graf Molitor eingesetzt hättet, als mich der Hunger zur Wilderei in seinem Wald verleitet hat,
dann wäre ich sogar bei einem gnädigen Urteil schon längst in einem stinkenden Kerker zu Grunde gegangen. Jetzt kann ich meinen Dank für Eure Güte erweisen! Aber es wird knapp werden! Die Männer des Domherrn sind auf seinen Befehl hin ausgeschwärmt. Je zwei von ihnen haben schon vor dem Portal sowie auf der Rückfront vor dem Hinterausgang Posten bezogen! Und die anderen werden mit dem Domherrn jeden Moment hier oben sein!«
Elmar Gramisch schloss hastig die schwere Kassettentür aus dicken Eichenbohlen hinter sich und schob den breiten Eisenriegel vor. »So schnell werden sie diese Tür nicht aufbrechen«, sagte er grimmig. »Und die kostbaren Minuten bis dahin werden wir zu nutzen wissen!«
Verstört blickte Sebastian von einem zum andern. »Ja, aber … auch wenn es stimmt,
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