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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Lass dich bloß nicht von ihm …«
    »Ich finde es so beruhigend, wie er seinen Kaffee schlürft. Dabei wird er oft ganz nachdenklich und guckt so abwesend vor sich hin. Es ist vielleicht nichts Besonderes daran, aber mir gefällt es.«
    Komm, schreibt sie, und er kommt, auf der Stelle. Urgroßmutter gestattet den beiden kleineren Kindern, ihn zu umarmen, sie können vor Freude kaum an sich halten. Er trägt sie huckepack, sie ziehen ihn zu einem Spaziergang vor die Tür und zeigen ihm die verschiedenen Geheimnisse in der näheren Umgebung. Er kommt aus dem Staunen nicht heraus. Es wird Abend, er bringt sie zu Bett und erzählt ihnen Gute-Nacht-Geschichten. Das große Mädchen braucht lange, bis es einschläft. Den Tag über hat es den Vater mit schnippischen Bemerkungen und bösen Seitenhieben auf
    Abstand gehalten, jetzt kann es nicht einschlafen, wenn er nicht seine Hand hält. Endlich schlafen alle drei, aus der Wohnung über ihnen sind Husten, Schritte und Stimmen zu hören. »Nicht die gleiche Stille hier wie auf Snæfellsnes«, bemerkt Urgroßmutter. Er schaut auf seine Hände und wartet, aber mehr sagt sie nicht. Er wartet und schweigt, bis er es nicht mehr aushält. »Ich konnte nicht zurückkommen«, sagt er fast flehentlich, aber ohne aufzusehen. »Es sollte nur ein kurzer Ausflug in die Stadt werden.« Jetzt blickt er auf. »Das schwöre ich. Ich dachte, nein, ich war sicher, meinen Platz gefunden zu haben, mein Zuhause, die Erde für meine Knochen; das, was mir immer gefehlt hatte, mein Gleichgewicht. Du hättest hören sollen, wie ich den Hof den Leuten hier in Reykjavik beschrieben habe. Wie andere vom Paradies reden! Dann aber – es war nicht einmal in einem Gespräch, sondern auf einem Spaziergang, den ich ganz allein um den Stadtteich unternahm, um ein bisschen frische Luft zu schnappen -, da empfand ich auf einmal Angst vor der Weite rund um Barðastaðir, vor all dieser, all dieser Leere und diesen gewaltigen Entfernungen zwischen den Menschen. Es fiel mir so manches wieder ein, das ich verdrängt hatte. Ich habe dir zum Beispiel nie von einem Traum erzählt, den ich nicht einmal, sondern mindestens fünfmal geträumt habe. Es war immer der gleiche Traum: Ich schob das Boot ins Wasser, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es auch wirklich gut an dem Pfahl festgebunden war, und ruderte los. Anfangs ging alles gut, aber dann hörte ich auf einmal einen Knall wie von einem Donner, und das Seil war gerissen. Ich trieb aufs offene Meer hinaus, weg von allem, ich war mutterseelenallein auf der endlosen See, und sie war so unendlich, unendlich tief. – Ich hatte das Gefühl, ich könne nie wieder nach Snæfellsnes zurückkehren. Du musst mich verstehen!«, sagt er plötzlich sehr erregt und sieht ihr offen in die Augen.
    »Hast du den Hof nach diesem Spaziergang um den Stadtteich verkauft?«
    Er schweigt, schlägt die Augen nieder, blickt dann traurig wieder auf.
    »Ich habe mich lange mit Gisli unterhalten«, sagt sie. »Nein, halt, ich habe etwas ausgelassen. Zuerst habe ich deine Fährte gesucht wie ein Spürhund. Dabei traf ich eine Frau oder ein Mädchen. Sag, ist diese Solveig eine Frau oder noch ein Mädchen? Ein Mädchen wahrscheinlich, bis sie sich vor dir auszog. Ich hatte ihr das eine oder andere sagen wollen oder ihr vielleicht die Augen auskratzen, doch dann fing sie an zu heulen, und ich setzte mich zu ihr, um sie zu trösten. Ihre Haut ist unwahrscheinlich glatt und weich. Das hast du immer zu schätzen gewusst. Ich kam als rächende Furie und ging als Trösterin. Bin ich nicht eine tolle Frau?! Dann ging ich zu Gisli … sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«
    Urgroßvater schaut auf wie jemand, der nicht weiß, ob ihn das Hinrichtungskommando erwartet oder ein Wunder, das ihn von all seinen Sünden erlöst.
    »Ich ging zu Gisli«, wiederholt Urgroßmutter und versucht, sich von Urgroßvaters Gesichtsausdruck nicht beeinflussen zu lassen. »Wir haben über vieles geredet. Er bewundert dich und er dankt der Vorsehung dafür, sich zu deinen Freunden zählen zu dürfen. Es gibt bestimmt viele, die dich für deine Lebensweise bewundern. Manche sprechen sogar von Mut und Verwegenheit. Ich finde allerdings, dass das, was sie Verwegenheit nennen, in Wahrheit Schwäche ist, mangelnde Standhaftigkeit oder Durchhaltevermögen. Was sagst du dazu?«
    Urgroßvater wagt gar nichts dazu zu sagen.
    »Ja, sie träumen heimlich davon, so zu leben wie du. Hast du das gewusst? Aber sie trauen sich

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