Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
eines jungen Mannes, jedenfalls sollte Reykjavik für ihn nur eine Durchgangsstation sein. Er hatte sich vorgestellt, dort ein paar Jahre zu arbeiten, zwei oder drei, Geld zu sparen, damit nach Kopenhagen zu gehen und von dort hinaus in die große, weite Welt. Er wollte auf einem Frachtschiff anheuern oder auf einem Walfänger, einen großen Strom hinauffahren und Urwälder durchstreifen. Ein Abenteurerleben führen und als alter Mann nach Island zurückkehren und ein Buch schreiben wie seinerzeit Jon der Indienfahrer. Tatsächlich aber arbeitet er in einer Druckerei, und die Jahre gehen dahin. Es dauert lange, die Reisekasse zu füllen, und er verdient sich ein paar Extragroschen, indem er bessergestellte Bürger auf ihren Wochenendausritten begleitet. Auf einer dieser Touren lernt er den späteren Großkaufmann Gisli Garðarsson kennen.
Der Herbst ist nicht mehr weit, und als die Reitertruppe unterhalb des Berges Ulfarsfell angekommen ist, sinkt besagter Gisli von seinem Pferd, zu betrunken, um sich noch im Sattel zu halten. Es ist noch warm, die Sonne überstrahlt den halben Himmel. Vergeblich versuchen die Ausreitenden, Gisli wiederzubeleben. Sie geben es schließlich auf und setzen ihren Ausflug fort, während sie Urgroßvater beauftragen, sich um den Mann zu kümmern, ihn irgendwann aufzuwecken und nach Hause zu bringen. Kaum ist der Trupp verschwunden, setzt sich Gisli auf. Sicher ist er betrunken oder vielmehr ziemlich angeheitert.
Er greift in die Jackentasche, zieht einen Flachmann hervor und reicht ihn Urgroßvater.
»Diese Leute«, sagt er und winkt mit dem Kopf in Richtung der Davongerittenen, »kennen keinen Ehrgeiz und keine Hingabe. Sie trauen sich kaum, zu leben. Bei dir scheint mir das anders zu sein. Trink!«
Auf dem Heimweg legen sie auf zwei Bauernhöfen Rast ein und enden im Hotel Island, wo der Rausch längst all die üblichen Hemmungen zwischen erwachsenen Menschen weggeschwemmt hat und Uropa von seiner Kindheit erzählt. Sein Vater war ein armer Handwerker, der so gut wie nie aus seiner Lethargie erwachte, seine Mutter eine Tochter des Pastors auf Glaumbær, eine stolze und ehrgeizige Frau. Sie hatten nur zwei Söhne, und die Mutter war bereit, alles zu opfern, um anständige Männer aus ihnen zu machen. Fast die gesamte Habe ging für die Ausbildung des Ältesten drauf, der es so bis in die höhere Schule in Reykjavik schaffte. Er war ein begabter Schüler, begann aber zu trinken, wurde im letzten Schuljahr der Schule verwiesen und ertrank im Stadtteich – würdelos und sturzbesoffen.
Der Pfarrer von Glaumbær verzieh seiner Tochter nie, dass sie einen armen Schlucker aus dem einfachen Volk geheiratet hatte; er hatte sich einen Propst, einen Großbauern oder einen Bezirksrichter vorgestellt und verschmähte und verachtete seinen Schwiegersohn.
»Einmal habe ich meinen Großvater gesehen«, sagt Uropa zu Gisli und hebt einen Finger. »Ein einziges Mal. Und weißt du, was dieser Mann Gottes auf die Nachricht vom Tod meines Bruders gesagt haben soll? ›Es war ja nichts anderes zu erwarten.‹«
Es ist eine Spätsommernacht, sie stoßen miteinander an, Uropa und jener Gisli, der zu Geld kommen, sich vor anderen hervortun und einmal Großkaufmann werden soll. Er will einmal als der bedeutendste Mann Reykjaviks durch die Straßen flanieren.
»Die Straßen von Reykjavik!«, sagt Urgroßvater und schnaubt. Dann beugt er sich über den Tisch, sieht seinem neuen Freund tief und gerade in die Augen und wiederholt dessen Äußerungen über den Ehrgeiz und den Wagemut, zu leben.
»Und da wusste ich, dass wir zusammen noch etwas erleben würden.«
»Vergiss Reykjavik, dieses gottverlassene Nest! Geh mal auf den Skölavördfu-Hügel und schau über das Meer! Dahinter wartet die ganze Welt auf uns. Warum sollten wir unser gesamtes Leben hier verbringen? Wir haben doch nur ein Leben, und das sollten wir dazu nutzen, die Welt zu bereisen. Nur der hat gelebt, der einmal in Italien eingeschlafen und in Griechenland aufgewacht, der im Mittelmeer nach Schätzen getaucht und im Stillen Ozean an die Oberfläche gekommen ist. Wenn du unbedingt anstoßen willst, dann bring ein Prosit darauf aus!«
Urgroßvaters Leidenschaftlichkeit ist so ansteckend, dass Gisli mitgerissen wird. Es ist Nacht, die beiden sind jung, so jung und so sternhagelvoll. Sie schwören einander, gemeinsam ins Ungewisse aufzubrechen.
»Aber erst einmal müssen wir dir eine gute Arbeit besorgen«, sagt Gisli entschieden, »und wir
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