Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Der Bauer fuhr im Wagen mit Chauffeur in die Stadt, Urgroßvater folgte ihm zu Fuß mit der Kuh. Zwei Tage lang führte er diese Kuh an der Leine mit sich herum wie einen Hund. Dann klopfte er irgendwo in der Innenstadt bei einer Frau an. Als sie die Tür öffnete, stand Urgroßvater davor, die Kuh an der Leine. Die drückte er der Frau in die Hand und sagte: »Ich empfinde die allergrößte Hochachtung vor dir.« Damit verbeugte er sich, machte auf dem Absatz kehrt und setzte über die Schulter noch hinzu: »Und vor der Kuh ebenso.«
Gisli saugt an der Zigarre, Urgroßmutter sieht zu, wie die Glut aufleuchtet und sich mit leisem Knistern in den Tabak frisst. Ach, wäre das schön, jetzt auch eine Zigarre zu rauchen, denkt sie und seufzt. Gisli wirft ihr einen Blick zu. »Ja, ich weiß«, sagt er, »was kann man anderes tun als seufzen?« Er führt die Zigarre wieder an den Mund, hält dann aber inne, ohne daran zu ziehen, und sagt: »Sicher, natürlich hat er einen zuweilen in den Wahnsinn getrieben und sich derart leichtsinnig verhalten, dass man ihm am liebsten eine gelangt hätte. Umbringen können hätte man ihn so manches Mal! Ich vergesse nie, wie er einmal an dieses teure Grundstück gekommen ist … mitten im Zentrum, und für nichts, für einen Preis, der weit unter allem lag, was angemessen gewesen wäre. Ich habe nie begriffen, wie er damit umgegangen ist. Du kennst die Geschichte natürlich. Ich habe ihm geraten, eine Weile abzuwarten, zwei oder drei Jahre. Dann hätte er ein Vermögen damit verdienen können! Aber was macht er? Verkauft das Grundstück nur wenige Wochen später für einen Apfel und ein Ei, hat es beinah weggeschenkt! Und als ich ihn frage, was für ein Teufel ihn da bloß geritten habe, fängt er an, mir etwas von irgendwelchen Augen und Poesie vorzuschwafeln!«
Die Zigarre ist ausgegangen. Gisli blickt vor sich hin und murmelt etwas von Abenteuer. »Weißt du«, sagt er dann, »als wir uns damals als junge Burschen kennen gelernt haben … – verdammt noch mal, man war tatsächlich einmal jung«, unterbricht er sich, setzt die Zigarre neu in Brand, zieht kräftig daran, und Urgroßmutters Nasenlöcher weiten sich.
»Tja, jung. Er wollte damals jedenfalls in die Welt hinaus wie ein verspäteter Jön Indienfahrer, und ich wollte ihn begleiten. Ich! Nun ja, wollte … Das war wohl überwiegend in der Nacht, als man sowieso nie schlief und von Mondenlicht und Sternenschein lebte, wie wir damals sagten, und, tja, dann liegen die Abenteuer nicht in weiter Ferne. Aber ich habe ihn überredet, noch zu bleiben, und ihn ausgerechnet in der Immobilienbranche untergebracht. Ich frage mich oft, ob meine übertriebenen Sicherheitsbedürfnisse nicht vielleicht ein aufregend abenteuerliches Leben im Keim erstickt haben. – Was meinst du dazu?«, fragt er plötzlich und sieht Urgroßmutter in die Augen.
Ob ich ihn aus dem Gleichgewicht bringe, wenn ich ihn um eine Zigarre bitte, denkt Urgroßmutter und gießt sich noch etwas Kakao nach. Er ist kalt geworden. Dann versichert sie Gisli, es sei voll und ganz überflüssig und vor allem sinnlos, sich Gewissensbisse zu machen, weil man vielleicht irgendeine abenteuerliche Unternehmung verhindert habe. Urgroßvaters einzige und wirkliche Heimat liege in der Sprache, darin, große Worte zu machen. Und so sei es immer gewesen. »Er kann nichts dagegen tun, er meint es auch nicht böse. Er ist einfach das, was er im einen Augenblick behauptet, und dann kommt der nächste Augenblick, andere Worte und andere Behauptungen, ein anderes Zuhause.«
»Genau«, murmelt Gisli, »ganz genau.«
Der Zigarrenrauch im Zimmer wird dichter, Urgroßmutter betrachtet die Bücherrücken, es sind schon eine Menge Bücher hier aufgestellt, von draußen dringt gedämpft die Stimme von Gislis Frau herein. Er sieht Urgroßmutter lange an, dann schenkt er sich noch einen Schnaps ein, räuspert sich ein paar Mal und beginnt dann: »Ich, hm, ich stehe natürlich auf der Stufenleiter der Gesellschaft um einiges höher, bedeutend höher, und daher, ähemm, mag es vielen merkwürdig vorkommen, dass ich es bin und nicht er, der Stolz auf diese Freundschaft empfindet. Für ihn ist unsere Freundschaft einfach etwas Selbstverständliches. Und wenn wir hier in diesem Zimmer sitzen, Zigarren paffen und miteinander quatschen, dann habe ich manchmal das Gefühl, er ist der wahrhaftigere Mensch von uns beiden. Verstehst du, was ich meine? Er ist ein Mensch, der nur sich selbst folgt und
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