Das kommt davon, wenn man verreist
Lonka ist begierig, Dich
kennenzulernen. (Anmerkung: Lonka ist seit einem Jahr mein Mädchen und wird es
wohl auf unabsehbare Zeit noch bleiben.)
Solltest Du ebenfalls über eine feste Trulla
verfügen — oder sie über Dich, was wahrscheinlicher ist — , dann bringe sie
mit. Und vergiß Deine Kamera nicht.
Wir erwarten Dich — bzw. Euch — am Freitag, dem
14. Juno
Absagen gilt nicht.
Es grüßt
Dein Dich liebender
Herwart, Paul.«
Friederike gab ihm den Brief zurück und lachte.
»Dein Paul hat vielleicht Nerven. Glaubt, du könntest so einfach übers
Wochenende nach München jetten.«
»Er hält mich eben für einen Erfolgsmenschen. Er
hat mich lange nicht gesehen.«
Und dann sprachen sie nicht mehr über den Brief.
Rieke fiel ein, daß sie dringend die Balkonblumen gießen mußte.
Sixten riet ihr, sich damit zu beeilen, damit
sie es noch vor dem Regen schaffte.
Er legte sich mit der Zeitung, die sie aus der
Stadt mitgebracht hatte, aufs Sofa. Das war ein ehemaliges, zur Vernichtung
bestimmtes Sperrmöbel wie alles andere in dieser Wohnung, aber von Rieke
gefällig aufgearbeitet. Wozu hatte sie schließlich das Polstern und Schreinern
gelernt?
Es war Samstag mittag, und sie hatten so gar
nichts Erfreuliches für dieses Wochenende vor. Höchstens einen Spaziergang mit
Plumpsack um den Grunewaldsee und das Auto vom Rathenauplatz nach Hause
schieben und vielleicht noch abends ein Bier und ein Skat mit Charly, einem engagementlosen
Schauspieler.
Rieke war gerade dabei, die letzten
Stiefmütterchen zu gießen, als dicke Tropfen auf ihre Blütengesichter
niederklatschten: die Ouvertüre zu dem von Sixten prophezeiten Regen. »Was ist
eigentlich eine Juxrallye?«
»Tja, wie soll ich dir das erklären? Eine
Juxrallye — das ist wie eine Sternfahrt.«
»Und was ist eine Sternfahrt?«
»Eine Art Fährtensuche auf Rädern mit
Rätselraten und Geschicklichkeitsübungen.«
»So was wie bei Karl May?«
»Nein.«
»Und wofür soll das gut sein?«
Manchmal hatte sie eine Art, Fragen zu stellen,
die selbst Sixten auf die Palme brachte — zumindest auf eine Palme von
Zimmerhöhe.
»Muß denn immer alles bei dir einen Sinn haben,
ja? Möglichst noch einen produktiven? Kannst du mir mal sagen, ob da vielleicht
ein Sinn drin ist, wenn du stundenlang Pilze suchst und am Ende die meisten
wieder wegschmeißt?«
»O ja, sogar mehrere«, verteidigte sich Rieke
und nahm beim Aufzählen der Gründe ihre Finger zu Hilfe. »Erstens: Ich suche
sie so gern. Zweitens: Bin ich dabei im Wald und geh’ spazieren. Das ist
gesund. Und drittens: Wenn ich diejenigen Pilze, denen ich nicht traue, wieder
wegwerfe, ist das noch mal sehr gesund, auch für dich. Also!«
Sie räumte die Kissen vor dem Regen aus den
Balkonstühlen und warf sie in ihren einzigen Sessel, in dem schon Plumpsack
Platz genommen hatte. Er grunzte unwillig, für mehr Protest war er zu faul.
»Eigentlich wär’s ganz schön, für ‘n paar Tage
hier rauszukommen«, sprach Sixten in den Sportteil seiner Zeitung.
Diese Feststellung machte Friederike stutzig.
»Sag bloß, du willst wirklich nach München fahren?«
Er gab darauf ein Wort von sich, das wie
»tschnjan« klang und ein zustimmendes Ja aus Feigheit vernebelte. Wenn einer
seit Monaten zum Haushaltsetat nur seine Arbeitslosenunterstützung beisteuern
kann, befällt ihn bei jedem geäußerten Extrawunsch ein Schuldkomplex. »Etwa mit
‘m Flieger?« fragte Rieke.
»Ich dachte, mit dem Auto.«
»Mit unserem?« staunte sie.
»Na ja«, ganz geheuer war ihm bei dieser
Vorstellung auch nicht.
»So wie ich das Modell inzwischen kenne, bleibt
es spätestens in Michendorf stehen, und dann stehst du da — und das in der
Zone.«
»Heißt das, du stehst nicht da?«
»Nein, Sixten. Fahr alleine. Es ist ganz gut,
wenn wir mal ein paar Kilometer zwischen uns legen.«
Er widersprach nicht.
Seit einiger Zeit kriselte es in ihrer
Gemeinsamkeit. Daran mochte seine Untätigkeit schuld sein und sein Phlegma,
aber ebenso ihre Energie, die alles vorantrieb, auch das, was gar nicht
getrieben werden wollte. Sie war so furchtbar tüchtig. Ihre Ordnungsliebe
bereitete ihm ständig Unbehagen und vor allem ihr rasches, logisches Denken,
mit dem sie auch in sein Leben System zu bringen versuchte.
Einerseits war es zweifellos bequem,
Verantwortungen auf Friederike abzuwälzen. Andererseits erzeugte das enge
Zusammenleben mit einer so fabelhaft tatkräftigen Person ein chronisch
schlechtes Gewissen im weniger
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