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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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vollkommenen, in seiner Unvollkommenheit nicht
unzufriedenen Sixten. Um dem für eine Weile zu entgehen, erschien ihm München
doppelt reizvoll.
    »Die Arnim hat gesagt, ich soll ihre Küche und
den Flur streichen«, erinnerte er sich. Aus diesen Überlegungen entnahm Rieke,
daß er sich bereits Gedanken um die Beschaffung des Fahrgeldes machte.
     
    Am Abend regnete es noch immer. Mit dem
gleichmäßigen Rauschen und dem ungleichmäßigen Schütten aus der defekten
Regenrinne drang Geschrei durch die offene Balkontür.
    Am Wochenende brachte man sich in diesem Hause
besonders gern um. Solange das Streiten nur schrill klang, ging es ja noch.
Wenn aber das Schrillen in Gellen überging, war der Moment gekommen, wo Frau
von Arnim die Funkstreife alarmierte.
    Sie war ständiger Gast auf diesem Anwesen. Man
rief sie immer wieder, obgleich ihre Beamten die fatale Angewohnheit hatten,
unparteiisch zu schlichten. Nach Meinung der deutschen Bewohner gaben sie den
Türken zuwenig Schuld, und nach Meinung der Türken hielten sie ständig zu ihren
eigenen Landsleuten.
    Es gab Momente, da hatte Friederike diesen
deutsch-türkischen Kleinkrieg so satt. Den Krieg und den Alltagstrott. Und überhaupt
alles.
    Ich muß hier mal raus, dachte sie. Ich muß hier
dringend mal heraus. Seit drei Jahren hatte sie keinen Ferientag mehr gehabt.
Wann war sie eigentlich das letzte Mal in München gewesen?
    »Du, Sixten...«
    Er sah fragend von seinem Spiegel auf, sah sie
vor der geöffneten Balkontür stehen und hinausschauen. Mußte ziemlich lange auf
das warten, was sie ihm sagen wollte. Er hatte dabei ausführlich Gelegenheit,
die lange Rieke zu betrachten.
    Sie besaß weibliches Gardemaß. Ihre Schultern
waren leicht vorgebeugt, eine typische Haltung bei Mädchen, denen ihr Busen
peinlich ist. Man trug ja heute keinen mehr. Er war vom modischen Standpunkt
aus ordinär. Aber wohin mit ihm, wenn er nun einmal da war? Also hielt sie sich
gekrümmt.
    Abgesehen von diesem Busen, den sie als Ärgernis
empfand, war Friederike jungenhaft schlank. Das linke Bein zog sie kaum merkbar
nach als Folge des kindlichen Experimentes, mit Hilfe eines Bettvorlegers
»Fliegender Teppich« von einem Garagendach gespielt zu haben. »Du wolltest was
sagen«, erinnerte Sixten, eine Zigarette drehend.
    »Ja, ich — eh — weißt du...«
    »Sprich dich ruhig aus«, ermunterte er sie,
während er die tabakgefüllte Papierwurst an beiden Enden aufklopfte.
    Rieke wandte sich ins Zimmer um. »Ich fürchte,
mein plötzlicher Wunsch, mit nach München zu fahren, ist stärker als mein
Wunsch, dich ein paar Tage los zu sein. Und wenn mir noch einfällt, wo ich das
Reisegeld hernehme, komme ich ganz bestimmt mit.«
     
     
     

2
     
    Am Freitag, dem vierzehnten Juni, gegen achtzehn
Uhr, trafen Friederike Birkow, Sixten Förster und Plumpsack-geht-Um in München
ein, Plumpsack für dieses Reiseabenteuer frisch gebadet und mühsam entfilzt,
mit Tollwutspritze und amtstierärztlichem Impfzeugnis versehen, zum ersten Male
über Land.
    Sieben brühwarme Stunden lang hatte er —
abwechselnd über Riekes oder Sixtens Knien jachelnd, aus dem Fenster geschaut,
das die Sonne zeitweise in ein Brennglas verwandelte, und durfte nicht
einschlafen wegen dem Fuchs. Der Fuchs hatte in Höhe von Dessau an der Autobahn
gesessen, und Plumpsack wäre am liebsten durch die Scheibe... Von Dessau bis
München wehrte er sich gegen den Schlaf in der Hoffnung, irgendwo am
Autobahnrand noch einmal dem Fuchs zu begegnen.
    Den Wagen, mit dem sie nach München fuhren,
hatte ihnen eine Mitfahrerzentrale vermittelt. Es war dies die billigste
Reiseart nach Trampen.
    Außer seinem Besitzer, einem Vertreter für
japanische Papierservietten und Hongkong-Nippes, saß noch eine Pediküre aus
Berlin-Steglitz auf den Vorderplätzen. Die konnte sieben lange Worte in einer
Sekunde sprechen, und das immerzu. Betäubt von ihrer Rederitis und durch und
durch gar dank der Backofentemperaturen im Innern des Autos, erreichten sie die
Ohmstraße in München und glitten an ihrer eigenen, zu Höchstleistungen
angetriebenen Transpiration aus dem Auto.
    Hier standen sie nun zerknittert, mit ihren
Reisetaschen, in der ausgestorbenen Straße auf dem noch immer sonnenheißen
Asphalt und ließen die Arme flattern in der Hoffnung auf Kühlung.
    »Wir sind da. Wir sind verreist«, freute sich
Sixten. »Plumpsack, wir sind verreist! Verreist!« Und das so lange, bis er ihm
bellend zwischen die Beine fuhr.
    Rieke träumte von einer

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