Das kommt davon, wenn man verreist
morgen.« Sie begann in ihrer
tiefbäuchigen Handtasche zu graben. »Ich habe Ihnen was mitgebracht. — Da! Alte
spanische Kommodenbeschläge. Wissen Sie, wo ich die gefunden habe? Auf dem
Flohmarkt von Mexico City. Und wissen Sie, was es da noch gab? Eine Drehorgel
auf einem Holzbein von der Firma Fratt aus der Berliner Schönhauser Allee. Die
spielte Weihnachtslieder.«
»Haste Heimweh jekriegt, wa?«
»Ich kriege im Sommer nie Heimweh nach
Weihnachten«, sagte Rieke. »Übrigens ist Sixten in Kiel. Er hat da was in
Aussicht, und unser Haus wird abgerissen. Die Mieter haben sich bestechen
lassen und ziehen aus. Es ist ein Jammer...«
»Mädchen«, erschrak Papke. »Sag das nicht so
trübetas-sig. Laß dir schnellstens ooch bestechen, solange die noch flüssig
sind. Und bisde ne neue Bleibe jefunden hast, ziehste in Rotrauds Schwesta ihre
Laube. Die is winta-fest...« Er brach ab, irritiert durch ihren fast
überschwenglichen Blick. »Is was, Kleene?«
»Nö.«
Sollte sie ihm sagen, daß er und seine Werkstatt
mit ihren vertrauten Düften und Geräuschen und faulen Katzen die einzige
Geborgenheit in ihrem augenblicklichen Leben ausmachte?
Zwei Tage später, nachmittags so gegen vier Uhr,
läutete das Telefon.
Papke hatte gerade Kunden in der Werkstatt, mit
denen er, über Zeichnungen gebeugt, um seinen Schreibtisch stand und lebhaft
stritt. Auf dem Schreibtisch befand sich das Telefon. Er nahm den Hörer ab,
sagte »Papke« und »Moment mal« hinein, rief »Rieke, für dich« und stritt
weiter.
Sie war gerade beim Lackieren und kam nur ungern
herbei.
»Wer ist es denn?«
»Mexiko«, sagte Papke so lässig, als ob er ein
internationaler Flughafen wäre.
In Rieke löste dieses Wort ein Erdbeben aus.
Sie stürzte sich auf den Hörer und brüllte
»Bob!« hinein mit einer Stimme, die bereit war, den Ozean ohne Verstärker zu
überqueren.
»Friederike«, sagte er so nah, als ob er aus dem
Tabakladen nebenan telefonierte. »Wie geht’s dir?«
»Zum Heulen, Bob.«
»Mir auch«, sagte er.
»Dir auch?« Das freute sie.
»Du fehlst mir sehr.«
»Ja«, sagte sie und sah Papke und seine Kunden
beschwörend an: Könnt ihr nicht ein bißchen leiser streiten? Aber nein, konnten
sie nicht.
»Rieke, ich rufe an, um dich etwas zu fragen...«
»Ja, Bob, Moment...«, sie nahm den Apparat und
stieg mit ihm in das zunächst stehende, reparaturbedürftige Möbel.
Es handelte sich sinnigerweise um einen
böhmischen Hochzeitsschrank. Er stank penetrant nach Speck und Schuhwichse.
Aber wenigstens war sie in ihm ungestört.
»So, jetzt.«
»Könntest du dir vorstellen, hier zu leben?«
fragte Bob. Nein, das konnte sie nicht, aber: »Heißt das etwa, du willst mich
wiederhaben?«
»Lieber heute als morgen.«
Ihr kam der Spruch in den Sinn >Wo du
hingehst, da will auch ich hingehn<... Aber mußte das ausgerechnet Mexico
City sein? Rieke war kein Typ, der in Riesenstädten gedeihen konnte. »Muß ich
mich gleich entscheiden?«
»Ich dachte mir schon, daß du nicht begeistert
bist«, sagte er. »Überleg’s dir in Ruhe.« Und dann sprach er nicht mehr davon.
Er erzählte von Pepe, der inzwischen nach Hause zurückgekehrt war und in Mexiko
bleiben durfte.
Seine Eltern hatten sich darüber völlig
entzweit, der Vater beabsichtigte, allein nach Deutschland zurückzukehren.
»Und Herodes?«
»Haut täglich ab. Aber jeden Abend bellt er vor
dem Tor. Er ist zum Stadtstromer mit fester Adresse geworden. Gestern hat er
versucht, eine Hündin — eine einäugige, alte Vettel — mit einzuschleusen, aber
der Gärtner schmiß sie raus.« Bob versprach, bald wieder anzurufen, und Rieke
versprach ihm, sich zu entscheiden und ihm zu schreiben.
Nachdem sie eingehängt hatte, blieb sie noch
eine Weile im Schrank sitzen, den Apparat im Schoß. So fand sie Papke, dessen
Kunden inzwischen gegangen waren. Er schnüffelte angewidert.
»Biste chloroformiert von dem Gestank, wa? Weiß
der Deibel, wie diesa Mief zu meistern is. Und womit rauskriejen? Der gehört ja
zu seine Historje. Det Holz von diesen Schrank, det hat noch jelebt, wie se den
Speck drin uffjehängt haben, und da kannste ebend machen, wat de willst, det
kriegste und kriegste nie mehr raus.«
»Nein, nie mehr«, sagte Rieke und dachte dabei
an Bob.
11
Sixten war ein Meister im Schreiben von
Witzpostkarten. Es stand nur nie das drauf, was Rieke gerne wissen wollte.
Einmal rief er sie aus Hamburg an, wo er bei seinem Bruder wohnte, und
erzählte, daß es
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