Das Krähenweib
in einem Baum am Wegrand niedergelassen hatten, flatterten krächzend auf. Niemand kam an ihnen vorbei, ohne dass Annalena es von ihnen erfuhr.
Der Reiter war allein. Zwischen die Hufschläge mischte sich das Rasseln eines Degens. Das Pferd schnaufte schwer, offenbar hatte es bereits einen langen Weg hinter sich.
»Gib mir die Jungen und frag nach, was er will.«
Johanna reichte ihr die winzigen Tiere, strich sich die Schürze glatt und stapfte dann zum Tor.
Als der Reiter sein Pferd zum Stehen gebracht hatte, trat das Mädchen vor ihn. Der Mann musterte Johanna verwundert, offenbar hatte er mit jemand anderem gerechnet.
»Verzeiht, ich habe eine Nachricht aus Dresden, gibt es hier eine Frau namens Annalena Habrecht?«
»Mutter«, rief Johanna laut. »Der Herr hier hat eine Nachricht für dich.«
Annalena gab die Katzenjungen ihrer Tochter zurück und schickte sie in den Stall. Dann betrachtete sie den Boten. Als sie das Wappen auf seiner Brust erkannte, zog sie verwundert die Augenbrauen hoch. Ein Sachse hier in Preußen?
Im nächsten Moment wurde ihr heiß und kalt zugleich. Geht es um Johann?, fragte sie sich, während freudige Erregung in ihrem Herzen mit beklemmender Angst rang. Ist es eine gute oder schlechte Nachricht?
»Ihr seid Annalena Habrecht?«, fragte der sächsische Bote, während er sie von Kopf bis Fuß musterte.
»Ja, die bin ich. Was habt Ihr für mich?«
Der Mann griff in seine Rocktasche und zog ein kleines Bündel hervor. Es war in Samt eingeschlagen und mit einer Schleife verschlossen. »Mein Herr hieß mich, Euch dies zu überbringen. Und solltet Ihr nicht wissen, von wem es ist, bin ich befugt, es Euch zu erzählen.«
Annalena betrachtete das Päckchen einen Moment lang, dann zog sie mit zitternden Händen die Schleife auf. In ihren Gedanken tobte ein Sturm, der abrupt abbrach, als sie den Inhalt sah.
Mit einem Mal war es ihr, als würde der Boden unter ihr schwanken. Die Scherbe war das Pfand ihrer Liebe gewesen. Auch wenn Johann versichert hatte, dass er sie nicht brauchte, um sich an sie zu erinnern. Warum ließ er ihr die Scherbe zurückbringen? War er frei? Oder war seine Liebe vergangen?
»Was ist geschehen?«, fragte sie den Boten. »Was ist mit Johann Böttger?«
»Er ist vor einigen Wochen gestorben. Sein letzter Wille war es, dass Ihr diese Scherbe bekommt. Und dass man Euch ausrichtet, dass er Euch stets geliebt hat.«
Johann ist tot?, hallte es ungläubig durch ihren Verstand. Annalena streckte die Hand aus, suchte Halt. Da sie ihn nicht fand, sank sie in die Knie. Sie fühlte sich, als würde ihr jemand Herz und Seele aus dem Leib reißen.
Das Grau in ihren Augen verschwamm, verschwand wie hinter einem Regenschleier. Tränen rannen aus ihren Augenwinkeln, fielen auf ihre Hände und die Porzellanscherbe.
Noch immer weigerte sich ihr Verstand, es zu glauben.
All die Jahre soll ich vergeblich gewartet haben? So viele Jahre Hoffnung verfielen nun zu Staub.
»Mutter, was ist dir?« Die erschreckte Stimme ihrer Tochter klärte die Finsternis, die sich um ihren Geist legte. Johanna kniete sich hinter sie und legte besorgt die Arme um ihre Schultern.
»Habt Dank für die Nachricht«, sagte Annalena wie betäubt zu dem Boten.
Der Mann sah sie voller Mitgefühl an, tippte schließlich wortlos an seinen federgeschmückten Dreispitz und wendete sein Pferd. Während die Krähen über dem Anwesen kreisten, verschwand er in der Ferne.
Annalena blickte mit tränenfeuchten Augen zum Himmel auf. Die Trauer war überwältigend, doch sie würde sie zu akzeptieren lernen. Und ein Teil von Johann lebte in seiner Tochter weiter. Er hat mir dieses Wunder geschenkt, dachte sie. Wenn es einen Himmel gibt, so wird er sie von dort aus sehen können.
»Komm, mein Kind«, sagte sie schließlich, während sie sich erhob. Sie blickte Johanna in die blauen Augen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, dann gab sie ihr einen zärtlichen Kuss. »Ich will dir von deinem Vater erzählen. Du sollst wissen, dass er ein großer Mann war.«
Johanna sah ihre Mutter überrascht an, ließ sich von ihr aber in den Arm nehmen und ins Haus führen.
Währenddessen beäugte die Katze misstrauisch die Krähen am Himmel, bevor sie im Stall verschwand, um ihre Jungen zu säugen. Die Krähen kreisten noch ein paarmal über dem Haus, und ließen sich erst auf ihrem Baum nieder, als die Tür hinter den Menschen ins Schloss gefallen und alles wieder ruhig war.
Im Innern des Hauses flammte eine Kerze auf, und
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