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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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folgend war sie dem Weg nach Westen gefolgt und hatte schließlich die Stelle gefunden, wo sie vor beinahe einem Jahr, auf der Flucht vor Mertens, zusammengebrochen war.
    Von all ihren Erinnerungen war es der Geist ihres Ehemannes, der sie am längsten verfolgte. Es verging kaum eine Nacht, in der sie sein blutüberströmtes Gesicht nicht vor sich sah. Manchmal machte er ihr Vorwürfe, manchmal beschimpfte er sie wie in jener Nacht. Aber sie wachte nicht mehr schweißgebadet auf, wie zu Zeiten, als er noch gelebt hatte, denn sie wusste, dass seine Hände sie nie wieder erreichen konnten. Reue fühlte sie wegen ihrer Tat nicht. Gewiss hätte alles anders werden können, doch das Schicksal hatte seine eigenen Gesetze.
    »Mutter!«
    Der Ruf einer hellen Frauenstimme riss sie aus ihren Gedanken. Als sie ihren Blick auf den Weg richtete, sah sie ihre Tochter auf sich zulaufen.
    Johanns Kind, dachte sie lächelnd, und sie verspürte einen bittersüßen Schmerz in ihrer Brust. Selbst nach achtzehn Jahren hatte sie die Hoffnung, er würde ihr auf diesem Weg eines Tages selbst entgegenkommen, nicht aufgegeben.
    Schon auf der Reise nach Norden hatte sie Zeichen ihrer Schwangerschaft festgestellt. Zunächst war sie sicher, sich zu irren, waren doch alle Versuche, ein Kind von ihrem Mann zu empfangen zwecklos gewesen. Doch Johanns Samen war in ihr aufgegangen. Sie gebar ihre Tochter an einem stürmischen Spätsommertag und nannte sie Johanna.
    Sie großzuziehen, allein und in dem einsam gelegenen Gehöft, war nicht immer leicht gewesen. Wo ein Erwachsener der Kälte vielleicht trotzen mochte, brauchte ein Kind behagliche Wärme. Und ihr Mädchen sollte auch keinen Hunger leiden. Das Kind fest an den Körper gebunden war sie also nach Oranienburg gegangen und hatte nachgefragt, ob die Dienste einer Hebamme oder Heilerin benötigt wurden.
    Die ansässigen Hebammen und Medizi sahen es zwar nicht gern, dass Annalena ihnen einen Teil ihrer Arbeit wegnahm, doch dank ihrer Fähigkeiten dauerte es nicht lang, bis viele Bürger Oranienburgs ihren Rat suchten. Schon bald mussten sie auf ihrem kleinen Hof nichts mehr entbehren. Sie säten Korn aus, hielten Hühner und eine Kuh. Im Winter hatten sie genug Feuerholz, das sie im Wald fanden, im Sommer kühlte das Brunnenwasser ihre Kehlen.
    Das Einzige, was Johanna fehlte, war der Vater.
    All die Jahre waren weder er noch eine Nachricht von ihm aufgetaucht. Und trotzdem verlor sie nicht die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch käme. Irgendwann.
    Johanna kam näher. Etwas verbarg sie in den Händen, die sie fest an ihren Leib presste. Annalena winkte ihr und ging ihr dann entgegen.
    »Sieh nur, was ich gefunden habe!«, rief die junge Frau, die bis auf die blauen Augen Annalenas Ebenbild war, begeistert und löste die Hände dann vom Leib.
    »Mohrchen hat Junge bekommen!«
    Drei winzige Katzen lagen in ihren Händen. Zwei waren grau getigert, die dritte pechschwarz. Ihre Augen waren noch geschlossen und das Fell dünn wie zerschlissener Samt. Ihre Köpfe wirkten übergroß, ihre Körper zart und hilflos, doch die winzigen Krallen an ihren Pfoten deuteten bereits jetzt darauf hin, dass sie eines Tages fähige Jäger sein würden.
    Als Annalena damals auf dem Gehöft angekommen war, hatte sie nach der alten Katze gesucht, doch die war verschwunden. Da es in dem Haus dagegen noch immer zahlreiche Mäuse gab, hatte Annalena sich eine Katze aus der Stadt geholt. Sie war pechschwarz wie eine Krähe. Annalena hatte das Tier auf Anhieb gefallen.
    »Drei Katzen mehr, die den armen Krähen nachstellen werden«, entgegnete sie nun lächelnd.
    »Die Krähen werden wegen ihnen schon nicht aussterben«, gab Johanna zurück. »Sie geraten ja nicht mal Mohrchen in die Fänge. Außerdem sind sie noch klein.«
    »Vielleicht stellen sie sich einmal geschickter als ihre Mutter an.«
    »Dann muss ich ihnen beibringen, dass sie sie in Ruhe lassen. Ich weiß ohnehin nicht, warum du dir immer so große Sorgen um die Schwarzgefiederten machst.«
    »Weil ich sie eben mag«, entgegnete Annalena lachend und fügte im Stillen hinzu: Und weil ich eine von ihnen bin.
    Annalena zog Johanna vorsichtig in ihre Arme, um die Katzen nicht zu zerdrücken, dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn.
    »Bring die Kleinen jetzt aber der Mutter zurück. Sonst wird das Nest kalt und sie will sie nicht mehr.«
    Johanna wirbelte herum, doch sie hatte gerade erst ein paar Schritte getan, da ertönte Hufgetrappel. Die Krähen, die sich

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