Das Kreuz am Acker
hängende Petroleumlampe an. Die Ranklin nahm die große Schüssel aus dem Kasten und schöpfte am Ofen die Milchsuppe ein.
»Was er nur grad an dem Stein hat? Kann ihm doch gleich sein! Der Stein ist schon viele hundert Jahr zwischen unseren Feldern, und wenn er den Schwaiger nicht stört, dann dürfte es uns doch auch gleich sein.« Sie stieß den Schöpflöffel unwillig in den Hafen zurück.
»Er hat sich halt darauf versteift, daß er die Hälfte von dem Feldrain zum Feld ackern möcht, und dazu müßt der Stein weg.«
Die Ranklin ging in die Kammer nebenan, aus deren Fenster man auf den Nothackerwald und die Hochfelder über dem Hof sehen konnte. Ein Feldweg führte hinauf und schnitt die Gründe des Rankl und des Schwaiger auseinander, dessen schöner Hof nur einen Katzensprung drüben in einer Mulde am Berg lag. Es wurde draußen dunkel, und auf dem Weg war niemand zu sehen. Sie ging wieder in die Stube zurück. Knarrend schloß sich die Kammertür. Der Hund war aufgestanden und sah erwartungsvoll die Bäuerin an.
»Wo er nur grad so lang bleibt? Wir könnten schon essen.«
In die Stube kam nun auch die Stalldirn, stellte beim Ofen einen Eimer nieder und nahm das Kopftuch ab.
»Hast den Bauern net gesehn?« fragte die Ranklin.
»Seit dem Mittag nimmer. Er ist fort mit der Schaufel, und geschimpft hat er, zum Fürchten. Heut gibt’s noch was, hat er gesagt, und die G’schicht wird jetzt einmal gründlich erledigt. Er hat noch mehr gesagt, aber ich hab mich verzogen, weil er gar so wild getan hat.«
Wieder ging die Ranklin in die Kammer und sah gegen den Berg, trat dann vor die Haustüre und horchte in die anbrechende Nacht hinaus. Kein Laut war mehr ringsum. Graue Wolken waren aufgestiegen, und ein kalter Wind trug einige weiße Flöckchen mit. Vom Talboden herauf war das leise Rauschen des Elenderbaches zu hören.
»Wenn ihm nur nichts passiert ist«, sagte sie, wieder in die Stube zurückkehrend, »solltest mal nachschauen, Franzi. Er kann ja nirgends anders sein als droben beim Nothackerwald.«
»Stell nur das Essen auf, ich pfeif ihm mal.« Der junge Rankl ging hinaus und jagte einen gellen Pfiff gegen den Wald hinauf. So hatten sie sich immer verständigt, und das mußte der Vater auch heute hören.
Die Suppe stand auf dem Tisch, und die Dirn schälte die gesottenen Kartoffeln. »Hat er sich gemeldet?« forschte die Ranklin, als der Franzi wieder in die Stube kam.
»Hab nix gehört.«
»Dann mußt naufgehen. Wir warten derweil.« Sie trug die Suppenschüssel wieder zum Ofen. Brummend schlüpfte der Franzi in die Joppe und griff nach dem Hut.
»Harro, komm!« Mit großen Sprüngen setzte der Hund aus dem Hof, während der junge Bauer in die Holzschuhe schlüpfte. Dann folgte er dem kläffenden Harro auf dem Feldweg. Es war schon dunkel, und dichter fielen die Schneeflocken.
Ein bissel früh kommt heuer der Winter, dachte der Bursche und schlug den Rockkragen hoch. Drüben beim Schwaiger knarrte das Stadeltor, und eine Spur auf der ersten Schneedecke zeigte, daß der Nachbar gerade vom Berg gekommen sein mußte. Die Schritte führten vom Feldweg ab und gegen den Schwaigerhof. Der Bauer war wahrscheinlich droben gewesen auf seinem Waldacker, neben dem Ranklfeld, und wenn er ihn nach dem Vater fragen könnte, dann wäre ihm vielleicht der Weg hinauf erspart. Aber zwischen dem Schwaiger- und dem Ranklhof wurde seit Jahren keine Rede mehr gewechselt. Man ging sich aus dem Wege und traf sich nur noch vor dem Gericht.
Wegen eines Steines, der ein wenig aus dem Feldrain zwischen den beiden Feldern ragte und einmal ein Kreuz getragen hatte, das ein Vorfahr der Schwaiger hatte setzen lassen! Dieser Feldstein war, wie der Vater behauptete, im Laufe der Jahre gegen den tiefer liegenden Acker des Rankl gewandert, und wenn er beseitigt wäre, könnte der Rankl seinen Acker um eine Furche erweitern. Im Bayerischen Wald mußte man um jede Handbreit Boden geizen. Der Schwaiger aber bestand darauf, daß der Stein blieb, denn er wollte wieder ein Kreuz darauf setzen lassen. Das alte Schwaigerkreuz war eines Tages zerschlagen am Boden gelegen, und schaudernd war die Geschichte durch die sieben Höfe von Hintereben gegangen, daß der Rankl im Zorn und Rausch den gußeisernen Heiland mitsamt dem Kreuz vom Stein an seinem Ackerrand geschlagen hätte. Damals sollte es gewesen sein, als er zum erstenmal an den Schwaiger herangetreten war, er solle den Stein ausgraben, und der Schwaiger dies abgelehnt
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