Das Kreuz der Kinder
Anstatt
aus meiner Verzweiflung Wut und Rache zu schöpfen,
duckte ich vor dem Eunuchen, den ich hätte mit eigenen
Händen erschlagen sollen! Meine Duldung des Moslah
war der nächste Schritt in den Schlamm der Schmach.
Ich hielt ihn für den Gewährsmann des Ouazir alKhazna. Wie alle Zuträger trieb er ein doppeltes Spiel,
und ich glaubte, damit leben zu können! Auch wenn ich
den vollen Umfang seiner Falschheit, die Tragweite
seines bösen Tuns erst dem Bericht des Timdal
entnahm, der über mich ausgeschüttet wurde wie ein
Kübel Unrat. Du hast mich mehrfach gewarnt, ich habe
feige weiter die Scheiße hinuntergewürgt, anstatt den
Molch sofort darin zu ersäufen.
Und schließlich habe ich vor meinem Sohn versagt:
Statt ihm ein klares Bild der Liebe seiner Eltern
zueinander und zu ihm, ihrem einzigen Kind, zu
zeichnen, bestand ich Schwächling auf dieser
›Chronik‹, weil ich an Melusine und ihrer Liebe
zweifelte, ich Narr!
Heute verfluche ich die ›Chronik‹; sie hat meine
Illusionen zerstört, sie hat das geliebte Weib weit über
mich Unwürdigen erhoben, und jetzt hat sie mir auch
noch den Sohn geraubt! Das ist kein Vorwurf an Dich,
Rik. Ich kann Dir nicht mehr in die Augen sehen, schon
deswegen sollst Du nicht nach Mahdia zurückkehren!
Selbst der tote Pol triumphiert über mich! Wenn schon
nicht Dich, ihn sollte Karim zum Vater haben! Nicht
einen Verdammten wie mich! Erfüll mir eine letzte
Bitte, Rik: Karim soll an einem Ort erzogen werden,
der ihn nicht länger mit der öden Einsamkeit des ›Horns
von Iffriqia‹ umgibt, ihn ständig an das traurige
Schicksal seiner Mutter erinnert und mit einem Vater
konfrontiert, der spätestens seit seiner ersten
Begegnung mit jener Frau zum Verlierer geworden ist.
Gib ihm die ›Chronik‹ nie zu lesen, Karim soll
unbekümmert und ohne Zwiespalt unter Gleichaltrigen
aufwachsen, in der festen Gewißheit, daß seine Eltern
ihn liebten über alles auf Erden – seine kühne, schöne
Mutter Melusine, als sie ihn zur Welt brachte, und sein
Vater Kazar Al-Mansur, Emir von Mahdia, bis zum
letzten Schlag seines Herzens, den Allah ihm gewährt.
Ich verlasse mich auf Dich, ya sadiqi, auf immer
Dein Freund, Kazar Al-Mansur
gegeben zu Mahdia
im Jahre Eures Herrn 1222 im Jahre der Hedschra 619.
EPILOGOS
Bísmillah arrahman arrahim.
Im Jahre der Hedschra 626, in der Zeitrechnung des
Abendlandes 1229.
Dem hochgeschätzten Emir Karim ibn Kazar Al-Mansur
sei Dank für das von Herzen kommende Schreiben an
seinen betagten Murabbi Sheikh, dessen unverbrüchlicher
Liebe er stets gewiß sein darf.
Ganz besonders hat mich gefreut, daß der umsichtige
Großwesir Fakhr ed-Din Euch zu den edlen Herren und
Würdeträgern des Ehrengeleits erwählt hat, die Kaiser
Friedrich vor den Toren Jerusalems im Namen des Sultans
El Kamil willkommen hießen und ihm die Schlüssel der
Stadt überreichten. Mir hatte der Groß- und Hochmeister
meines Ordens der Deutschen Ritter, der untadelige
Hermann von Salza, die Freude verwehrt, Euch bei der
Gelegenheit wiedersehen zu dürfen!
Ich wurde von meinem Ordenskomtur von Starkenberg
nach Akkon entsandt, um dort für den Schutz des Kaisers
zu sorgen, dessen Kommen ja auch unter den
einheimischen Christen heftig umstritten war. Besonders
unsere Geistlichkeit und die Barone des Landes feindeten
Friedrich heftig an, die einen, weil er trotz des auf seiner
Person lastenden Kirchenbanns diese Reise unternommen
hat, die anderen, weil sie befürchteten, er könnte bleiben
und ihnen ihre Rechte beschneiden. So konnte ich nicht an
der ›Krönung‹ teilnehmen, die Ihr mir so trefflich
geschildert habt. Schade, bin ich doch wahrscheinlich
einer der wenigen Ritter meines Ordens, der die arabische
Sprache und die Sitten des Landes aus langer Erfahrung
beherrscht, ganz zu schweigen davon, daß ich über den
Vorzug verfüge, den jetzt amtierenden Grollwesir
persönlich zu kennen, wie überhaupt unsere ›Chronik‹
damals vielleicht ganz wesentlich dazu beigetragen hat,
daß Friedrich die Heilige Stadt Jerusalem ohne
Blutvergießen betreten konnte.
Der Kaiser erntet die Früchte, und das ist ja auch in
Ordnung so. Dank seiner Heirat mit Jolanda und vor allem
dank des ihm geborenen Sohnes Konrad kann er sich jetzt
auch noch ›König von Jerusalem‹ nennen! Von vielen
wird selbst das angezweifelt und ihm allenfalls der Titel
eines Regenten zugestanden! Friedrich hat viele Neider
seines Erfolgs, sie
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