Das Kreuz der Kinder
Verpflichtung der abendländischen Ritterschaft zur
Befreiung Jerusalems ins Leben gerufen (»Deus lo vult!«)
– waren mittlerweile pervertiert zu schamlosen
Beutekriegen: Christen fielen über Christen her.
Das Jahr 1204 sah die Eroberung des griechischen
Byzanz, seine gezielte Plünderung durch die Venezianer
und die erzwungene Einrichtung eines machtlosen
›Lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel‹. 1209
entbrannte in Okzitanien und im Languedoc der
›Kreuzzug gegen den Gral‹, loderten die Scheiterhaufen
der Inquisition. Als Ausrottung christlicher Häretiker von
der Kirche inszeniert, boten die ›Albigenserkriege‹ der
Krone von Paris den willkommenen Anlaß, sich endlich
des freien Südens zu bemächtigen und sich damit auch den
Zugang zum Mittelmeer zu sichern. Beides ging mit
grausamen Massakern an der Zivilbevölkerung einher.
Aber auch das übrige Europa kannte nur
Schlachtengemetzel und Gewalt und zwar in sich
steigerndem, verheerendem Ausmaß. Im Norden und
Westen Frankreichs tobten ohne Unterlaß die blutigen
Auseinandersetzungen der Krone von Frankreich um die
territorialen Ansprüche der Plantagenet von England. Im
Reich der Deutschen bekriegten sich unablässig Welfen
und Staufer, trugen die Städte der Lombardei ihre Fehden
mit dem Kaiser aus, standen die Reichsbischöfe mit dem
Papst oder gegen Papst oder Kaiser im Feld.
Die ›Albigenserkriege‹ trieben 1213 auf die Schlacht
von Muret (bei Toulouse) zu, bei der König Peter II. von
Aragon von den Franzosen erschlagen wurde. 1214 kam
die Allianz von Vaucouleurs zum Tragen: Die vereinigten
Heere der Capets und des Staufers bezwangen das
Aufgebot Englands und des Welfenkaisers Otto IV. am
›Blutsonntag von Bouvines‹.
Die Folge waren eine totale Verelendung weiter
Landstriche, Hungersnöte und Seuchen in den Städten und
zunehmend verwaiste, verwahrloste Kinder. Kein Wunder
also, daß es nur des zündenden Funkens bedurfte. Den
drohenden Aufruhr zu kanalisieren, konnte höchstens der
Macht gelingen, die sich immer noch als ›supra partes‹
verstand, obgleich sie es selten war. Angesichts der
drohenden Ketzergefahr war es auch die Kirche Roms, die
einen gewaltsamen Umsturz immer noch verbindlicher
Dogmen mehr als jede weltliche Macht fürchten mußte.
Die sancta ecclesia catholica hatte erheblich an Einfluß zu
verlieren, also griff sie wie ein erfahrener Medicus bei zu
hohem Blutdruck zur Gewaltkur, zum geschickt mit
Heilserwartung verquicktem – Aderlaß.
Zu beweisen ist ihr das nicht. Aber – auch wenn die
Zahlen übertrieben sein mögen – Zigtausende von
potentiellen jugendlichen Störenfrieden verschwanden im
gleichen Jahr von der Bildfläche. Ihr Verlust wurde von
keinem beklagt. Der kirchlichen Autorität einen Vorwurf
zu machen ist billig, selbst wenn sie nur weggeschaut
hätte, statt ihn zu verhindern. Eine Lösung, wie sie Franz
von Assisi bot, stand lediglich lokal begrenzt in Italien zur
Verfügung. Nicht einmal eine straff organisierte
Auffangbewegung wie die der Domenikaner hätte das
Problem so schnell in den Griff bekommen. Der Druck im
Faß der Armut und Hoffnungslosigkeit war zu hoch, er
hätte sich auf jeden Fall seinen Weg gesucht – diesen oder
einen anderen!
In der Welt des Islam
Während die diffuse Zielsetzung und die chaotische
Aufbruchstimmung der ›Kinderkreuzzüge‹ des Jahres
1212 sich nahtlos in das Aufbegehren und die
Verweigerung von gleichzeitig einsetzenden
Massenbewegungen einfügen lassen, wie die Hinwendung
zur gottgefälligen Armut des Franz von Assisi und seiner
Bettelmönche oder die Suche nach einem eigenen Weg zu
Gott – ohne Vermittlung der Kirche – wie die ›Ketzerei‹
der Katharer, verlief ihr Schicksal dann keineswegs in den
üblichen Bahnen. Anstatt in den vorgesehenen
ausgetretenen Pilgerpfad nach Jerusalem einzumünden,
warf das Los die jugendlichen Teilnehmer jener Züge an
eine ganz andere, abgelegene Küste. Nach Algerien und
Tunesien verirrte sich normalerweise kein Kreuzfahrer, bis
dann sehr viel später, im Jahre 1270, fast als Abgesang der
einst so glorreichen Kreuzzüge, König Ludwig ›der
Heilige‹ hier sein unrühmliches Ende fand.
Als nächste Nachbarn traf es höchstens die Normannen
von Sizilien – und in der Folge die Staufer, den lästigen
Piraten dieser unwirtlichen »Berberküste« von Zeit zu Zeit
das Handwerk zu legen.
Über die islamischen Herrscher von Syrien und Ägypten
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