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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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Monotonie unterbrach und die Trance nicht zu einem Koma werden ließ, war der morgendliche Akt der Anbetung. Aber auch das war eine gegenseitige allumfassende emotionelle Reinigung, die das Individuum noch mehr in der Masse untergehen ließ. Meine Erinnerung an die Zeit vor meinem Eintreffen in der Stadt schwand – und mit ihm mein Elend; denn das Leid bedingt die Erinnerungen an eine glückliche Zeit, um es erinnerlich zu machen.
    Und dann kam die Botschaft des Königs und rüttelte uns auf.

 
3
    Als die Bildschirme zu flimmern begannen und die Fanfaren aus den Lautsprechern tönten, bekamen nur wenige mit, was eigentlich geschah – so lange war die Anlage nicht mehr in Betrieb gewesen. Einige waren der Wirklichkeit so weit entrückt, daß sie – in der täglichen Routine gefangen – weitergingen, als ob nichts geschehen wäre. Andere schreckten vor dem plötzlichen Lärm und Licht zurück und rasten in Deckung, aus Angst, die Throngi hätten uns überfallen. Was mich betraf, so war mir bei dem plötzlichen Ruf, als hätte ich nach monatelangem freiem Fall plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen. Verwirrt, aber in voller geistiger Klarheit, starrte ich zum nächstgelegenen Bildschirm an der Kuppel auf. Ohne Vorankündigung erschien dort das Gesicht des Königs.
    König Asleck war kaum dem Jungenalter entwach sen. Als er mit neun Jahren die Nachfolge seines Vaters antrat, hatte er sich sofort in den zehnjährigen Krieg mit den Throngi stürzen müssen. Von Natur aus schwächlich, hatte er den ständigen Anspannungen und Sorgen wenig entgegenzusetzen, so daß er an seiner Aufgabe langsam zugrunde ging. Trotz seiner Krankheit schien es ihm aber weitaus besser zu gehen als uns. Er hatte hohle Wangen und eingesunkene Augen, aber nicht das Schädelgesicht und den fiebernden Blick eines Hungernden. Sein Haar war sauber und sorgfältig geschnitten, und er trug eine Seidentunika mit hohem Kragen. Auf seiner Brust schimmerte das Pilgerzeichen aus Globus und Halbmond. Die Lage im königlichen Palast war offenbar besser als in den anderen Städten. Dennoch war es unmöglich, Asleck zu beneiden.
    »Mein Volk«, sagte er. »Es stimmt mich sehr trau rig, daß ich in dieser schweren Zeit nicht zu Ihnen kommen und Ihren Kummer teilen kann. Aber wie Sie wissen, steht es mit den Nachrichtenverbindungen schlecht, und Transporte sind in der gegenwärtigen Situation nahezu unmöglich. Abgesehen davon, muß ich aus politischen Gründen hierbleiben, damit ich unseren Kriegseinsatz steuern kann. Aber wenn ich auch nicht persönlich bei Ihnen sein kann, bedeutet das nicht, daß ich nicht laufend an Sie denke.
    Und gerade weil ich Ihre Probleme kenne, habe ich jetzt beschlossen, unsere defensive Politik, die wir vor zwei Jahren begonnen haben, aufzugeben. Morgen werden die größten Schiffe der Terranischen Flotte unter dem Kommando Admirals Abran Loossi einen letzten, entschlossenen Versuch unternehmen, die throngische Blockade zu durchbrechen. Wenn wir mit dem Vorstoß Erfolg haben, fliegt die Flotte weiter nach Proxima Centauri, um vom Herrscher von Sirius militärische und materielle Hilfe zu erbitten. Wenn wir geschlagen werden, können wir nichts weiter tun und müssen bis zum Ende durchhalten.
    Ich bitte Sie, zu Unser Aller Mutter zu beten und Sie zu bitten, uns in diesem letzten Unternehmen zum Erfolg zu führen.«
    Ein Orchester spielte »Erde, wir entsprangen dir«, und wir sangen. Und dann verblaßte das Bild des Königs auf dem Schirm.
    Nur bedauernswert wenige schienen auf den Rettungsring der Hoffnung zu reagieren, den uns der König zuwarf. Wir unternahmen den Versuch, uns zu säubern, der aber angesichts der allgemeinen Lage nur eine Geste war. Wir begannen wieder miteinander zu sprechen, und hier und dort erhob sich eine Stimme im Gesang. Aber die große Mehrzahl schien nicht mitbekommen zu haben, was der König gesagt hatte. In der folgenden Nacht versuchte ich mit meinen fünfzehn Zimmergenossen über die Chancen der Flotte zu sprechen. Aber ich erhielt nur glasige Blicke zur Antwort.
    Schließlich waren doch so viele Männer bei klarem Bewußtsein, daß die Beobachtungsgalerie bei Tagesanbruch gefüllt war. Wir schwiegen jetzt und sahen uns nicht an, sondern starrten nur durch das Glas zum Himmel auf. Die Sonne schien, doch ohne die Atmosphäre war der Himmel schwarz und voller Sterne. Wir waren zu weit von der tibetanischen Hochebene entfernt, so daß uns die Erdkrümmung den Blick auf die startende Flotte

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