Das krumme Haus
Anziehungskraft, wenn ich mich so ausdrücken darf. Die Frauen flogen auf ihn.«
»Seine Heirat erregte Aufsehen«, sagte mein Vater. »Er eroberte die Tochter eines Landjunkers, eines großen Jägers vor dem Herrn.«
Ich zog die Brauen in die Höhe.
»Geld?«
Mein Vater schüttelte den Kopf.
»Nein, es war eine Liebesheirat. Sie lernte ihn beim Einkauf der Aussteuer für eine Freundin kennen und verliebte sich in ihn. Ihre Eltern entzweiten sich daraufhin mit ihr; aber sie ließ sich nicht beirren. Ich sage dir, der Mann besaß Charme – er hatte etwas Exotisches und Dynamisches, das ihr gefiel. Ihre eigenen Leute langweilten sie zu Tode.«
»Und die Ehe wurde glücklich?«
»Sehr glücklich. Natürlich verkehrten ihre bzw. seine Freunde nicht miteinander – aber das schien die beiden nicht zu kümmern. Sie kamen ohne Freunde aus. Er baute ein ziemlich geschmackloses Haus in Swinly Dean, dort lebten sie und hatten acht Kinder. Swinly Dean wurde damals große Mode. Die alten Einwohner, die nur ihre Gärten liebten, mochten Mrs Leonides, und die reichen Geschäftsleute, die sich dort niederließen, wollten mit ihm auf gutem Fuße stehen. Die beiden waren vollkommen glücklich, glaube ich, bis sie eines Tages an Lungenentzündung starb.«
»Und er blieb mit acht Kindern zurück?«
»Eins starb schon als Kind. Zwei Söhne fielen im Ersten Weltkrieg. Eine Tochter heiratete nach Australien und starb dort. Eine unverheiratete Tochter kam bei einem Autounfall ums Leben. Eine andere ist vor ein oder zwei Jahren gestorben. Zwei Kinder leben noch – der älteste Sohn, Roger, der verheiratet, aber kinderlos ist, und Philip, der eine bekannte Schauspielerin geheiratet und drei Kinder in die Welt gesetzt hat, deine Sophia, Eustace und Josephine.«
»Und alle leben in dem Haus… wie heißt es doch gleich?… ›Drei Giebel‹?«
»Ja. Roger Leonides wurde zu Beginn des Krieges ausgebombt. Philip zog mit seiner Familie schon 1937 hin. Dann ist da noch eine alte Tante, Miss de Haviland, die Schwester der ersten Mrs Leonides. Offenbar hasste sie ihren Schwager von jeher; doch als ihre Schwester starb, betrachtete sie es als ihre Pflicht, seiner Aufforderung nachzukommen, bei ihm zu leben und die Kinder zu erziehen.«
»Sie ist sehr pflichtbewusst«, schaltete Chefinspektor Taverner sich ein. »Aber sie ist kein Mensch, der seine einmal gefasste Ansicht ändert. Sie konnte Leonides nie leiden, und seine Geschäftsmethoden verabscheute sie.«
»Es scheint ein wohl gefülltes Haus zu sein«, bemerkte ich. »Wer, glauben Sie, hat ihn getötet?«
»Das lässt sich noch nicht sagen. Fest steht nur, dass er vergiftet wurde. Doch Sie wissen, wie es in solchen Fällen ist. Beweise sind schwer zu erbringen. Dieser Fall ist besonders verwickelt.«
Ich sah meinen Alten Herrn an. Bedeutungsvoll sagte er: »Der alte Leonides hat sich vor zehn Jahren zum zweiten Mal verheiratet.«
»Mit siebenundsiebzig Jahren?«
»Ja, er heiratete eine Fünfundzwanzigjährige.«
Ich pfiff durch die Zähne.
»Was für ein Mädchen?«
»Eine Kellnerin. Sie hat einen guten Ruf, sieht recht nett aus – ein bisschen blutarm und rührend.«
»Ist sie etwa verdächtig?«
Taverner zuckte die Schultern.
»Sie ist erst fünfunddreißig, und das ist ein gefährliches Alter. Sie liebt ein angenehmes Leben. Und da ist ein junger Mann im Hause. Der Lehrer der Enkel. Er war nicht im Krieg – hat angeblich ein Herzleiden oder so etwas. Vielleicht ein Drückeberger.«
»Womit wurde der Mord verübt? Mit Arsen?«, erkundigte ich mich.
»Nein. Wir haben den Bericht von der Analyse noch nicht; aber der Arzt nimmt Eserin an.«
»Ein ungewöhnliches Gift, nicht wahr? Da lässt sich doch sicher leicht feststellen, wer es verkauft hat.«
»In diesem Fall nicht. Er benutzte es selbst. Augentropfen.«
»Leonides litt an Diabetes«, erklärte mein Vater. »Er bekam regelmäßig Insulinspritzen. Insulin wird in kleinen Flaschen mit Gummikapsel verkauft. Man sticht die Nadel der Spritze durch die Gummikapsel und saugt das Insulin an.«
»Und in der Flasche war kein Insulin, sondern Eserin?«
»Genau.«
»Und wer gab ihm die tödliche Spritze?«
»Seine Frau.«
Ich begriff jetzt, wen Sophia mit der »richtigen Person« gemeint hatte. Ich fragte: »Versteht sich die Familie gut mit der zweiten Mrs Leonides?«
»Nein. Ich vermute, sie reden kaum miteinander.« Ich fand den Fall eigentlich ziemlich klar. Taverner hingegen schien sich noch keine endgültige
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