Das krumme Haus
Großvaters. Er ist eine Persönlichkeit, mein Großvater – über achtzig, ungefähr eins sechzig groß, aber neben ihm sieht jeder unscheinbar aus.«
»Offenbar ein interessanter Mann«, warf ich ein.
»O ja. Er ist von Geburt Grieche, stammt aus Smyrna. Aristide Leonides heißt er.« Mit einem kleinen Zwinkern fügte sie hinzu: »Er ist sehr reich.«
»Wird nach dem Krieg noch jemand reich sein?«
»Mein Großvater bestimmt«, erwiderte Sophia überzeugt. »Er lässt sich nicht übers Ohr hauen. Ich möchte wissen, ob er dir gefallen wird.«
»Hast du ihn gern?«
»Am liebsten von allen Menschen auf der Welt«, sagte Sophia.
2
E rst zwei Jahre später kehrte ich nach England zurück. Es waren keine leichten Jahre gewesen. Die ganze Zeit blieb ich mit Sophia in Kontakt. Wir schrieben beide keine Liebesbriefe. Es waren Briefe, wie sie unter nahen Freunden üblich sind, Briefe, die dem Gedankenaustausch dienten und vom täglichen Leben erzählten. Aber unsere Beziehung festigte sich, und unsere Gefühle füreinander wurden immer stärker.
An einem grauen Septembertag kehrte ich nach England zurück. Vom Flugplatz aus sandte ich Sophia ein Telegramm:
»Soeben eingetroffen. Erwarte dich um 21 Uhr zum Abendessen bei Mario. Charles.«
Zwei Stunden später blätterte ich in der Times. Als ich die Geburtstags-, Heirats- und Todesanzeigen las, fiel mein Blick auf den Namen Leonides:
In tiefem Schmerz teile ich Freunden und Bekannten mit, dass mein geliebter Mann
Aristide Leonides
am 19. September von mir gegangen ist.
Er starb im Alter von 87 Jahren in Swinly Dean.
Brenda Leonides
Darunter stand eine zweite Anzeige:
Heute entschlief unerwartet unser geliebter Vater und Großvater
Aristide Leonides
Die Trauerfeier findet i n der St.-Eldreds-Kirche statt.
Swinly Dean, den 19. September.
Ich fand die beiden Anzeigen ziemlich sonderbar. Aber meine Hauptsorge galt Sophia. Eiligst schickte ich ihr noch ein Telegramm:
»Soeben Todesanzeige gelesen. Herzliches Beileid. Erbitte Nac h richt, wann Wiedersehen möglich. Charles.«
Um sechs Uhr erreichte mich in meinem Elternhaus ein Telegramm von Sophia:
»Bin um 21 Uhr bei Mario. Sophia.«
Der Gedanke an das Wiedersehen mit Sophia beunruhigte und erregte mich. Die Zeit verging mit nervenzermürbender Langsamkeit. Ich fand mich zwanzig Minuten zu früh im Restaurant ein. Sophia kam nur fünf Minuten zu spät.
Es ist immer ein seltsames Erlebnis, einen Menschen wiederzusehen, mit dem man lange Zeit nicht mehr zusammen war, mit dem man sich aber innerlich doch stets beschäftigt hat. Als Sophia endlich durch die Drehtür kam, erschien mir unsere Begegnung gänzlich unwirklich. Sie war in Schwarz, und das erschreckte mich irgendwie.
Nachdem wir einen Aperitif getrunken hatten, gingen wir zu Tisch. Wir unterhielten uns ziemlich hastig, ja fieberhaft, und sprachen von alten Kairoer Freunden. Es war eine gekünstelte Unterhaltung, die uns jedoch über die erste Verlegenheit hinweghalf. Ich drückte ihr nochmals mein Beileid aus, und Sophia sagte ruhig, ihr Großvater sei »ganz plötzlich« gestorben. Dann wärmten wir Erinnerungen auf. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas mit Sophia nicht stimmte. Wollte sie mir am Ende mitteilen, dass sie eine neue Liebe hätte? Nein, das glaubte ich nicht; aber ich wusste nicht, was es sonst sein könnte.
Nachdem der Kellner uns den Kaffee gebracht hatte, wurde auf einmal alles anders. Wir saßen uns wie einst in einem Restaurant an einem kleinen Tisch gegenüber, und es war, als hätte es nie eine Trennung gegeben.
»Sophia«, sagte ich.
Und sofort antwortete sie: »Charles!«
»Gottlob ist es überstanden.« Ich atmete erleichtert auf. »Was war nur los mit uns?«
»Wahrscheinlich meine Schuld. Ich war dumm.«
»Aber jetzt ist alles gut?«
»Ja, jetzt ist alles gut.«
Wir lächelten einander an.
»Mein Liebes«, sagte ich. »Wann wollen wir heiraten?«
Ihr Lächeln erstarb.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht recht, ob ich dich überhaupt heiraten kann.«
»Aber warum denn nicht? Bin ich dir fremd geworden? Brauchst du Zeit, um dich wieder an mich zu gewöhnen? Hast du einen andern gefunden? Ach nein, ich bin ein Dummkopf. Das alles ist es nicht.«
»Nein, das ist es nicht.« Nach einer Pause sagte sie leise: »Es ist wegen des Todes meines Großvaters.«
»Wieso? Inwiefern macht das einen Unterschied? Du meinst doch nicht etwa die finanzielle Frage? Wenn er dir
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