Das krumme Haus
dumm von Laurence, die Briefe dort zu verstecken. Ich sah ihn eines Tages vom Speicher kommen. Er versteht nichts von technischen Dingen, darum dachte ich mir gleich, dass er dort etwas versteckt hätte.«
»Aber ich glaubte…« Ich brach ab, da Ediths Stimme gebieterisch erklang: »Josephine! Josephine! Komm sofort!«
Josephine seufzte.
»Ich muss gehen. Wenn Tante Edith ruft, muss man folgen.«
Sie lief über den Rasen, und ich ging ihr langsam nach. Nach einem kurzen Wortwechsel mit ihrer Großtante lief sie ins Haus.
Ich gesellte mich auf der Terrasse zu Edith de Haviland. An diesem Morgen sah man ihr das Alter an. Ihre müden, leidenden Züge erschreckten mich. Sie wirkte abgespannt und niedergeschlagen. Offenbar bemerkte sie meine Besorgnis; denn sie lächelte mich beruhigend an.
»Das Kind scheint durch sein Erlebnis nichts gelernt zu haben«, sagte sie. »Wir müssen gut auf die Kleine aufpassen. Aber vielleicht ist das jetzt gar nicht mehr nötig…« Sie seufzte. »Ich bin froh, dass es überstanden ist. Wie lange wird der Prozess wohl dauern?«
»Drei bis vier Monate, schätze ich. Und nach der Verurteilung kann man ja noch Berufung einlegen.«
»Glauben Sie, dass die beiden verurteilt werden?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, wie viele Beweise oder Indizien die Polizei hat. Meines Wissens nur Briefe.«
»Liebesbriefe? Sie hatten also doch etwas miteinander?«
»Sie sind ineinander verliebt.«
Sie machte ein grimmiges Gesicht.
»Ich freue mich nicht über diese Entwicklung. Ich mochte Brenda nicht, und ich habe schlecht über sie geredet. Aber jetzt muss man ihr eine Chance geben. Das wäre in Aristides Sinn. Ich muss nun wohl dafür sorgen, dass es Brenda an nichts fehlt.«
»Und Laurence?«
»Ach, Laurence!« Ungeduldig zuckte sie die Schultern. »Männer müssen für sich selbst sorgen. Aber Aristide würde uns niemals verzeihen, wenn wir…« Sie ließ den Satz unvollendet. Stattdessen sagte sie: »Es wird wohl bald Essenszeit sein. Gehen wir lieber hinein.«
Ich erwiderte, dass ich nach London fahren wollte.
»Mit Ihrem Wagen?«
»Ja.«
»Hm. Würden Sie mich mitnehmen? Jetzt können wir doch sicher wieder kommen und gehen, wie wir wollen.«
»Sehr gern. Ich glaube aber, Magda und Sophia wollen nach dem Essen auch fahren. Da haben Sie es bequemer als in meinem offenen Zweisitzer.«
»Ich möchte nicht mit den beiden fahren. Nehmen Sie mich mit, und sprechen Sie nicht weiter darüber.«
Auf der Fahrt in die Stadt verhielten wir uns ziemlich schweigsam. Ich fragte sie, wo ich sie absetzen sollte.
»Harley Street.«
An der Straße, wo die besten Ärzte Londons wohnen?, dachte ich verwundert; aber da fuhr sie schon fort: »Nein, es ist noch zu früh. Setzen Sie mich bei Debenhams ab. Dort kann ich noch einen Bissen essen und nachher zur Harley Street gehen.«
»Hoffentlich…«, begann ich und brach ab.
»Deshalb wollte ich nicht mit Magda fahren. Sie dramatisiert immer alles so.«
»Es tut mir sehr leid…«
»Nicht nötig. Ich hatte ein gutes Leben, ein sehr gutes Leben.« Sie lächelte plötzlich. »Und es ist ja auch noch nicht vorbei.«
23
I ch hatte meinen Vater seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Als ich ihn aufsuchte, war er mit anderen Dingen beschäftigt, nicht mit dem Fall Leonides, und so begab ich mich zu Taverner, der gern eine kurze Arbeitspause einlegte und mit mir in ein Restaurant ging. Ich beglückwünschte ihn zur Lösung des Falles, aber er wirkte überhaupt nicht besonders froh.
»Nun ja, der Fall ist so weit gelöst, dass ein Prozess geführt werden kann«, knurrte er.
»Glauben Sie, dass es zu einer Verurteilung kommt?«
»Unmöglich vorauszusehen. Wir haben es nur mit Indizien zu tun. Es hängt viel davon ab, was für einen Eindruck die Geschworenen haben werden.«
»Verraten die Briefe viel?«
»Auf den ersten Blick stellen sie die beiden arg bloß. Sie enthalten Andeutungen auf das Zusammenleben nach dem Tode des alten Mannes. Sätze wie: ›Es wird nicht mehr lange dauern.‹ Der Verteidiger wird es natürlich so hinstellen, als ob das nur eine Anspielung auf das mutmaßlich zu erwartende Ableben des Alten wäre. Von Mord oder Gift ist keine Rede; aber einige Wendungen könnte man als Hinweis darauf auffassen.«
»Was glauben Sie denn selbst?«, fragte ich.
Er sah mich ausdruckslos an.
»Gar nichts. Ich habe dem Staatsanwalt die Tatsachen unterbreitet, und er hat entschieden, dass den beiden der Prozess gemacht werden soll. Das ist
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