Die Verschworenen
1
Die Kinder sind ein bebender Schatten im ersten Licht der Morgendämmerung. Ihre Stimmen dringen bis zu meinem Versteck. Aufgeregte, hohe Töne, manchmal ein Lachen, das tapfer klingen soll.
Sie sind so klein.
Das habe ich schon aus den Erzählungen gewusst. Mit sechs Jahren vollziehen sie das Ritual, dem ihr Clan seinen Namen verdankt. Schwarzdorn. Das Gestrüpp, durch das sie sich gleich kämpfen müssen, kann ich von hier aus erkennen. Mir würde es bis knapp über den Bauchnabel reichen, aber manche der Kinder werden völlig darin verschwinden, bevor sie blutend am anderen Ende wieder auftauchen.
Primitiv. Das Wort pocht in meinem Kopf, seit ich meine Beobachtungsposition eingenommen habe. Es kommt nicht von ungefähr, dass der zivilisierte Teil der Menschheit den Clans dieses Attribut zuordnet. Sie Prims nennt. Seit Wochen habe ich diesen Begriff nicht mehr in den Mund genommen, ihn nicht einmal gedacht, aber nun kehrt er mit Wucht in mein Bewusstsein zurück.
Ich rufe mich zur Ordnung. Den Menschen, die dort stehen, verdanke ich mein Leben, nachdem mich meine eigene, angeblich so rechtschaffene Regierung erschlagen lassen wollte wie ein wildes Tier.
Ein Windstoß fegt über die brüchige Mauer hinweg, die mein notdürftiges Versteck bildet. Quirin, der mehr Verständnis für Neugierde hat als jeder andere Mensch, den ich kenne, hat mir den Platz zugewiesen und verlässt sich darauf, dass ich stillhalte. Er weiß, dass ich weiß, wie wichtig es ist, unbemerkt zu bleiben. Offiziell bin ich, ist meine ganze Gruppe längst nicht mehr hier, sondern nach Westen weitergezogen.
In die Menschen vor der Hecke kommt Bewegung. Eltern helfen ihren Kindern aus der dicken Kleidung, bis sie nur noch in Fellstiefeln und grob gewebten Unterhemden dastehen. Ich fröstle aus Mitgefühl. Ein Mädchen beginnt zu weinen, einer der Jungen stimmt ein.
Quirin steht auf der anderen Seite des Dornengestrüpps – ganz in Weiß gekleidet, wie immer. Sie nennen ihn den Bewahrer, den Fürsten der Stadt unter der Stadt, doch im Moment wirkt er auf mich eher wie ein Priester der alten Religionen. Ich höre, wie er beruhigend auf die Kinder einspricht. Was er sagt, verstehe ich nicht, aber das Weinen ebbt ab. Das erste Kind löst sich aus der Gruppe und geht zögernd auf die Hecke zu.
Jemand tritt aus der Gruppe der Erwachsenen – ich erkenne die Silhouette sofort. Die geraden Schultern, die eleganten, sparsamen Bewegungen, das dunkle, schulterlange Haar. Sandor geht neben dem Kind in die Hocke und zeigt ihm, wie es mit den Händen seine Augen schützen soll. Danach steht er auf und begleitet den Kleinen bis zur Hecke, drückt ihm die ersten Dornenranken beiseite.
Der Junge geht los. Zweimal höre ich ihn aufschluchzen, dann ist er auf der anderen Seite bei Quirin angelangt, der ihm eine Decke um die Schultern wickelt und ihn lachend hochhebt.
Das Mädchen, das nach ihm an der Reihe ist, gibt keinen einzigen Laut von sich, während es sich durch die Dornen kämpft, aber als es die Hecke hinter sich lässt, glaube ich eine dunkle Spur an seinem Oberarm zu erkennen. Quirin drückt sofort ein Tuch auf die Wunde und streicht dem Kind über den Kopf, bevor er es zu seinen Eltern entlässt.
Die anderen Kinder weinen alle, manche lauter als andere, doch erst der Achte in der Gruppe setzt sich wirklich zur Wehr, klammert sich an seine Mutter, schreit. Lässt sich nicht beruhigen.
Sie treiben ihre Kinder durch Dornenhecken und ziehen nur die Überlebenden groß. Das war es, was wir uns flüsternd unter unseren Bettdecken über den Clan Schwarzdorn erzählt haben, damals, in der sicheren Wärme der Sphären. Ich ertappe meine Finger dabei, wie sie den Mörtel zwischen den Steinen der Ruine herauskratzen. Wieder rufe ich mich zur Ordnung. Meine Emotionskontrolle war immer vorbildhaft, aber jetzt überrasche ich mich oft bei unbewussten Handlungen, für die ich an der Akademie sofort ein paar Plätze in der Reihung eingebüßt hätte.
Das Schreien des Jungen hat an Heftigkeit zugenommen. Die Erwachsenen, die um ihn herumstehen, geben ihm Zeit, lassen eins der anderen Kinder den Weg durch die Hecke antreten, während sie auf ihn einreden. Sandor kniet neben ihm, legt ihm einen Arm um die Schultern, drückt ihn sanft in Richtung Gestrüpp, doch der Junge reißt sich los und läuft weg.
Genau auf mich zu.
Er will sich in der Ruine verstecken, keine Frage, und er wird mich bemerken.
Ich weiche zurück, geduckt, wenige Schritte hinter mir
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