Das krumme Haus
und Sophia schritten voraus. Clemency fragte mich: »Ob man uns jetzt wohl reisen lässt?«
»Sind Sie so erpicht darauf fortzukommen?«, gab ich zurück.
»Ich halte es kaum mehr aus.« Sie begegnete meinem erstaunten Blick mit einem schwachen Lächeln. »Haben Sie nicht gemerkt, dass ich die ganze Zeit um Rogers und mein Glück gekämpft habe? Ich hatte solche Angst, dass die Familie ihn überreden würde, in England zu bleiben. Roger ist immerhin ein Leonides, und deshalb meint er, eine Frau könnte nur glücklich sein, wenn sie ein behagliches, sorgenfreies Leben führt. Aber Roger muss fort, er muss ein Leben fuhren dürfen, das ihn befriedigt, eine Arbeit haben, bei der er nicht versagt. Und ich will ihn für mich haben, will nicht in den Familienbanden ersticken…«
Sie hatte mit einer Verzweiflung gesprochen, die mich erschreckte. Ich hatte mir nicht klar gemacht, wie fertig sie war. Ich hatte mir auch nicht klar gemacht, wie tief und besitzergreifend ihre Gefühle für Roger waren.
Hatte Edith de Haviland an Clemency gedacht, als ihr die Bemerkung vom Götzendienst entschlüpft war? Roger hatte seinen Vater mehr geliebt als seine Frau, sosehr er ihr auch zugetan sein mochte. Zum ersten Mal erkannte ich, wie sehnlich Clemency wünschte, ihren Gatten ganz für sich zu haben. Die Liebe zu Roger machte ihr Leben aus. Er war ebenso sehr ihr Kind wie ihr Mann und Liebhaber.
Vor dem Haus fuhr ein Wagen vor.
»Oh«, rief ich, »da kommt ja Josephine zurück!«
Josephine und Magda stiegen aus. Das Kind trug einen Kopfverband, sah aber sonst auffallend gut aus. Josephine sagte sofort: »Ich will meine Goldfische sehen«, und strebte zum Teich. »Liebes«, rief Magda ihr nach, »du solltest dich erst ein bisschen hinlegen und eine gute Suppe essen.«
»Ich mag nicht!«
Magda sah unentschlossen aus. Ich wusste, dass Josephine schon vor einigen Tagen das Krankenhaus hätte verlassen können und dass sie nur auf Taverners Veranlassung hin noch dort geblieben war. Er hatte das Kind keiner Gefahr aussetzen wollen, bevor seine Verdächtigen hinter Schloss und Riegel saßen.
Ich sagte zu Magda: »Die frische Luft tut ihr sicher gut. Ich werde mich um sie kümmern.«
Ich holte Josephine ein, ehe sie den Teich erreicht hatte.
»Es ist allerlei geschehen, während du fort warst«, sagte ich.
Josephine gab keine Antwort. Mit ihren kurzsichtigen Augen spähte sie ins Wasser.
»Ich sehe Ferdinand nicht«, murmelte sie.
»Welcher ist Ferdinand?«
»Der Fisch mit den vier Flossen.«
»Das ist aber eine komische Gattung. Der leuchtend goldene gefällt mir gut.«
»Das ist ein ganz gewöhnlicher.«
»Der weiße, der wie von Motten angefressen aussieht, gefällt mir weniger.«
Josephine warf mir einen zornigen Blick zu.
»Das ist ein sehr wertvoller japanischer Fisch, der viel mehr kostet als ein Goldfisch.«
»Möchtest du nicht hören, was sich hier ereignet hat?«
»Ich glaube, ich weiß schon alles.«
»Weißt du auch schon, dass man ein anderes Testament gefunden hat und dass Sophia alles erbt?«
Sie nickte gelangweilt.
»Mutter erzählte es mir. Ich wusste es aber schon.«
»Hörtest du davon im Krankenhaus?«
»Nein, ich hörte, wie Großvater es Sophia sagte.«
»Da hast du wohl mal wieder gelauscht?«
»Ja. Ich lausche für mein Leben gern.«
»Es ist aber etwas Abscheuliches. Du kennst doch das Sprichwort: Der Horcher an der Wand hört seine eigene Schand.«
Sie sah mich mit einem sonderbaren Ausdruck an.
»Ich hörte auch, was er über mich zu ihr sagte, wenn Sie das meinen.« Sie fügte hinzu: »Nannie wird immer wütend, wenn sie mich beim Lauschen ertappt.«
Ich wechselte das Thema.
»Du hast etwas verpasst, Josephine. Chefinspektor Taverner hat vorhin Brenda und Laurence verhaftet.«
Ich hatte gedacht, dass Josephine in ihrer Eigenschaft als Detektiv diese Nachricht mit begeistertem Interesse aufnehmen würde; aber stattdessen antwortete sie nur in enervierend gelangweilten Ton: »Ja, ich weiß.«
»Das kannst du ja gar nicht wissen. Es ist eben erst geschehen.«
»Wir trafen das Auto unterwegs. Ich reimte mir gleich alles zusammen.«
»Ich musste ihm die Briefe zeigen«, sagte ich abbittend. »Ich fand sie hinter dem einen Wasserbehälter. Ich hätte es dir überlassen, sie ihm zu geben, wenn du nicht im Krankenhaus gewesen wärst.«
Sie fasste sich unwillkürlich an den Kopf.
»Man wollte mich töten«, klagte sie. »Ich sagte Ihnen ja, es sei Zeit für den zweiten Mord. Es war
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