Die Totgesagten
D ieFrühlingssonne schien ins Kommissariat von Tanum und brachte den Schmutz auf den Fensterscheiben erbarmungslos ans Licht. Patrik hatte das Gefühl, dass der gleiche wintergraue Schmutzfilm auch ihn bedeckte. Es war ein harter Winter gewesen. Das Leben mit Kind war unendlich viel schöner, aber auch unendlich viel anstrengender, als er es sich vorgestellt hatte. Obwohl es mit Maja inzwischen reibungsloser lief als am Anfang, fühlte sich Erica in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau trotzdem nicht so richtig wohl. In jeder Minute, die Patrik an seinem Arbeitsplatz verbrachte, war ihm das schmerzhaft bewusst. Und die Sache mit Anna war noch eine zusätzliche Belastung.
Ein Klopfen riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. »Patrik? Verkehrsunfall auf der Straße nach Sannäs. Nur ein Fahrzeug.« »Okay.« Patrik stand auf. »Sollte nicht heute die Nachfolgerin von Ernst anfangen?«
»Doch«, sagte Annika. »Aber es ist noch nicht acht.«
»Dann fahre ich mit Martin hin. Eigentlich wollte ich die Neue mitnehmen, damit sie sich schon mal ein bisschen eingewöhnen kann.«
»Sie kann einem wirklich leidtun.«
»Weil sie mich begleiten sollte?« Patrik warf ihr einen gespielt beleidigten Blick zu.
»Natürlich,ich kenne doch deinen Fahrstil …« Annika lachte. »Nein, im Ernst. Die Ärmste wird es nicht leicht haben mit Mellberg.«
»In Anbetracht ihres beeindruckenden Lebenslaufs würde ich sagen, wenn jemand mit Mellberg umgehen kann, dann Hanna Kruse. Ihren Referenzen und Zeugnissen nach zu urteilen, ist sie eine ziemlich fitte Frau.«
»Und warum hat sie sich dann in Tanum beworben?«
»Interessanter Punkt.« Patrik zog sich die Jacke an. »Ich werde sie mal fragen, wieso sie sich dazu herablässt, unter lauter Hobbypolizisten in dieser Karrieresackgasse Dienst zu tun.«
Annika klopfte ihm auf die Schulter. »So habe ich es nicht gemeint.«
»Ich weiß, war doch nur ein Witz. Hast du nähere Informationen über den Unfallort? Verletzte? Tote?«
»Nach Aussage des Anrufers, der den Unfall gemeldet hat, scheint sich nur eine Person im Wagen zu befinden. Und die ist tot.«
»Verdammt. Martin und ich fahren hin. Wir sind bestimmt bald wieder da. Inzwischen kannst du Hanna ja alles zeigen.«
Im selben Augenblick war aus dem Eingangsbereich eine Stimme zu hören: »Hallo?«
»Das muss sie sein.« Annika eilte zur Tür. Patrik, der äußerst gespannt auf die Neue war, folgte ihr.
Der Anblick der Frau am Empfangstresen überraschte ihn. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, eine etwas größere Frau vielleicht. Nicht ganz so hübsch und … blond. Sie gab zuerst Patrik und dann Annika die Hand. »Hallo. Hanna Kruse. Ich soll heute hier anfangen.«
Die Stimme entsprach schon eher seinen Erwartungen. Tief und resolut.
Ihr Händedruck, der viele Stunden Krafttraining verriet, rückte Patriks ersten Eindruck noch weiter zurecht.
»PatrikHedström. Und das ist Annika Jansson, das Rück grat unserer Dienststelle.«
Hanna lächelte. »Ich verstehe, der weibliche Vorposten in der totalen männlichen Dominanz. Zumindest bis jetzt.«
Annika lachte. »Bei dem ganzen Testosteron in diesem Haus kann ich ein bisschen Verstärkung gut gebrauchen.«
Patrik unterbrach das Geplauder. »Ihr könnt euch später miteinander bekannt machen. Hanna, uns ist soeben ein Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang gemeldet worden. Wenn du nichts dagegen hast, nehme ich dich gleich mit, damit du mit Vollgas in deinen ersten Arbeitstag startest.«
»Kein Problem«, sagte Hanna. »Ich muss nur meine Tasche irgendwo abstellen.«
Annika nickte. »Ich bringe sie in dein Zimmer. Den Rundgang machen wir, wenn ihr wieder da seid.«
»Danke.« Hanna lief hinter Patrik her, der bereits auf dem Weg zum Ausgang war.
»Und, wie geht’s so?«, fragte Patrik, als sie im Dienstwagen Richtung Sannäs fuhren.
»Danke, gut. Aber ein neuer Job ist auch immer ein bisschen aufregend.« »Laut deinem Lebenslauf bist du schon viel herumgekommen.«
»Genau, ich wollte so viele Erfahrungen wie möglich sammeln.« Hanna blickte interessiert aus dem Fenster. »Verschiedene Regionen in Schweden, verschieden große Reviere. Alles, was meine Berufserfahrung erweitert.«
»Aber wozu?«, bohrte Patrik weiter. »Was ist das übergeordnete Ziel?«
Hanna lächelte. Ihr Lächeln war zwar freundlich, aber auch ungeheuer selbstbewusst. »Natürlich eine Führungsposition. In einem der größeren Polizeibezirke. Daher besuche ich ständig Fortbildungen, lerne
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