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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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machte eine Ausbildung zur Apothekerin, und die jüngste, Shenja – Waleris zukünftige Mutter – , hatte eben erst die Schule beendet. Der Vater lernte sie auf einem Tanzabend im Klub der Eisenbahner kennen. Wera, mit der er damals schon zusammenlebte und der er im Herbst sogar hoch und heilig die Ehe versprochen hatte, brachte ihre jüngste Schwester mit zum Tanz.
    Ein Akkordeon spielte auf, und sie tanzten. Es war im Mai 1941. Nach dem Tanz brachte er die beiden Schwestern nach Hause und sagte zu Wera, am nächsten Wochenende werde er bei ihren Eltern um ihre Hand anhalten.
    Und er kam tatsächlich und brachte einen weißen Fliederstrauß mit. Nur hielt er bei den Eltern nicht um die Hand der ältesten Tochter Wera an, sondern um die ihrer jüngsten, Shenja. Der Vater sagte Saljutow, er wisse selbst nicht, wie das damals gekommen sei. Es habe ihn getroffen wie ein Blitzschlag. In derselben Nacht warf sich Wera unter den Zug. Unter einen Güterzug, wie Anna Karenina, der mit Kohle für die Frachtschiffe im Hafen beladen war.
    Dann begann der Krieg. Sowie er die Einberufung bekam, ließ er sich mit Shenja trauen. Der Vater sagte auch, er sei, als er an die Front ging, überzeugt gewesen, er werde nicht lebend zurückkehren. Vor ihrem Selbstmord hatte Wera eine Notiz hinterlassen, in der sie ihn, die treulose Schwester und ihrer beider künftige Ehe bitter verfluchte.
    Aber der Vater wurde im Krieg nicht getötet. Er kehrte zurück – zwar als Krüppel, aber lebendig. Und er akzeptierte alles, was er daheim vorfand.
    Das alles akzeptierte mit der Zeit auch Saljutow. Freilich erinnerte er sich immer daran, dass das Wort »Kasino« für ihn in der Kindheit mit Schmerz und Scham verknüpft war.
    1956 starb die Mutter an Tuberkulose. Im selben Jahr sah er in einem Kino in Odessa einen alten »Beutefilm«. Dort wurde ein solches Kasino gezeigt. Nun konnte er selbst sehen, was dieses verhasste, verpönte, unverständliche Wort eigentlich bedeutete. Und er war verblüfft, entzückt, bis in den Grund seiner Seele erschüttert.
    Diesen durch zahllose Aufführungen schon ganz ausgeblichenen Film über das märchenhaft schöne Leben der Bourgeoisie, der »Burshui«, wie man in Lusanowka sagte, sah er sich danach noch viele, viele Male an. Nur einer kurzen Szene wegen: Der Held im Smoking und die Heldin im Ballkleid treten in einen prunkvollen, von kristallenen Lüstern erleuchteten und von vielen Menschen bevölkerten Saal . . .
    »Waleri Wiktorowitsch, ich habe Ihre Familie hergebracht. Sie sind alle oben im Bankettsaal. Auch Philipp Walerjewitsch ist gekommen. Er ist ebenfalls oben. Seinen Freund haben wir allerdings gebeten, vorläufig unten in der Bar zu bleiben. Wie Sie es angeordnet haben, damit keine Fremden dabei sind.«
    Saljutow zuckte zusammen. Er stand noch immer auf den Stufen zu seinem »Haus«. Der Schnee rieselte auf seinen Mantel und seinen unbedeckten Kopf. Vor ihm stand Ravil. Saljutow nickte ihm zu und trat zur Tür. Der Portier, der herausgekommen war, um den Chef zu begrüßen, riss die Tür geräuschlos und dienstfertig weit vor ihm auf.

4
    Gleb Kitajew war in schlechter psychischer Verfassung. Seit einiger Zeit wurde er das Gefühl nicht los, dass sie alle eine rabenschwarze Pechsträhne erlebten.
    Hätte sein Boss Saljutow ihn nach seiner Meinung gefragt, so hätte Kitajew geantwortet, er halte dies alles, zum jetzigen Zeitpunkt und in dieser Situation, für mehr als überflüssig – sowohl die Gedächtnisfeier in den Privaträumen Saljutows wie den Besuch bei der Staatsanwaltschaft und die Neueinrichtung des Billardsaals.
    Ich rate Ihnen, Waleri Wiktorowitsch, hätte Gleb Kitajew gesagt, für ein, zwei Monate in Urlaub zu fahren und sich irgendwo, möglichst weit weg, zu erholen. Am Strand von Teneriffa zum Beispiel, oder auf den Malediven oder dem Great Barrier Reef in Australien. Aber Saljutow fragte ihn nicht nach seiner Meinung. Er handelte, wie immer, nach eigenem Gutdünken. Und das gefiel Gleb Kitajew überhaupt nicht.
    Warum in aller Welt hatte Saljutow seine gesamte Familie hierher, in den »Roten Mohn«, geschleppt? Diese alte Hexe, die schon völlig senil war? Kitajew hatte nichts gegen den ausgeprägten Familiensinn seines Chefs, aber das ging doch wohl zu weit!
    Diese vertrottelte Alte, die bei Saljutow zu Hause von drei Krankenpflegerinnen gleichzeitig betütelt wurde, erzählte über die Familie lauter schmutzige Klatschgeschichten. Und zwar wahllos jedem! Insbesondere den

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