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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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der Michejew diesen einträglichen Posten verschafft hatte. Im Jahr davor hatten sie noch im selben Regiment bei Murmansk gedient. Als die Einheit aufgelöst wurde, kamen beide bei Verwandten in Moskau unter. Peskow war von Gleb Kitajew selbst in den »Roten Mohn« geholt worden. Ihm war der hochgewachsene, finster dreinschauende Ex-Offizier sofort aufgefallen. Außerdem konnte Peskow gut schießen. Seine Stellenbezeichnung in der Angestelltenliste des Kasinos klang solide: »Bewaffneter Türsteher«. Er war gewissermaßen der Vorposten der Wachmannschaft und hatte bei einem Überfall die Kasse und die Geldwechselstelle zu verteidigen.
    Diesen Peskow bat Michejew nun, ein paar Minuten auf die Garderobe zu achten, während er nach unten lief, um Tabletten zu holen. Eilig durchquerte Michejew das Vestibül und hastete die Dienstbotentreppe hinunter in die Wachstube. Der Portier Peskow stützte sich derweil mit den Ellbogen auf die Theke. Hinter ihm plätscherte leise ein Springbrunnen.
    Dieser von innen beleuchtete Springbrunnen war eine der Sehenswürdigkeiten des Kasinos. Am Eröffnungstag war statt Wasser zehn Jahre alter französischer Rotwein aus dem Brunnen gesprudelt. Er stellte die Glücksgöttin Fortuna mit dem Füllhorn dar. Allerdings hatte die Göttin aus irgendeinem Grund die Augen verbunden und sah so eher aus wie die blinde Göttin der Gerechtigkeit.
    Peskow wärmte sich auf und lauschte dem Rieseln des Brunnens. Auf dem Monitor neben der Tür, der den Eingang, den Hof und den Parkplatz zeigte, tauchte ein Wagen auf. Eine unbekannte Limousine, die die beleuchtete Allee zum Kasino heraufkam. Peskow seufzte und begab sich zum Eingang, um den neuen Gast zu begrüßen. Da ertönte hinter ihm ein leises Knarren und ein dumpfer Schlag. Das war die Toilettentür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. Eine Tür aus dunkel gebeizter Eiche mit einer spiegelblank geputzten, im Licht funkelnden vergoldeten Klinke.
    Saljutow stand auf der verglasten Veranda, die als Wintergarten eingerichtet worden war, und beobachtete, wie der Chauffeur Ravil an der Tür mit seinem Sohn Philipp sprach. Seit einiger Zeit verkehrten Saljutow und Philipp nur noch durch Vermittler miteinander. Um seinem jüngsten Sohn seinen Willen und seine Wünsche mitzuteilen, musste Saljutow die Hilfe von Außenstehenden in Anspruch nehmen. So war auch jetzt Ravil geschickt worden, um Philipp zu sagen, dass die Familie seinen Freund, den er seit einiger Zeit überallhin mitschleppte und den alle im »Roten Mohn« nur unter seinem Spitznamen »Legionär« kannten, nicht an der Gedächtnistafel zu sehen wünschte.
    Das Essen hätte schon vor einer Viertelstunde beginnen sollen. Es war nicht im Restaurant gedeckt worden, sondern oben im Bankettsaal, neben Saljutows Büro. Der Tisch war für fünf Personen gedeckt – nur für die Familienmitglieder und den ausdrücklich eingeladenen Gleb Kitajew.
    Wehmütig erinnerte Saljutow sich an frühere Festessen und andere Zeiten. Wie viele Gäste waren vor fünf Jahren gekommen, als der »Rote Mohn« eröffnet wurde! Wie viele Gäste hatten sich ein Jahr später zur Hochzeit seines Sohnes Igor mit Marina versammelt, und dann ein Jahr später zur Taufe des ersten Enkels! Und auch zu Igors Beerdigung vor vierzig Tagen auf dem Nikolo-Archangelskoje-Friedhof und zum anschließenden Leichenschmaus waren unzählige Menschen gekommen, und es hatte ein Meer von Blumen gegeben. Nun waren nur fünf Personen übrig geblieben: drei Männer und zwei Frauen. Und selbst in diesem engen, privaten Kreis konnten sie die Feier nicht beginnen . . .
    Denn sein jüngster Sohn Philipp, zu Hause Lipa gerufen, dieser selbstverliebte, verzogene Nichtsnutz, hatte ihnen allen – seinem Vater, seiner greisen Großtante und der Witwe seines Bruders – eröffnet, er werde, wenn man den Legionär nicht einlüde, seinen Fuß nicht über die Schwelle des Bankettsaals setzen!
    Dieser Grünschnabel wagte es, der Familie seine Bedingungen zu diktieren, noch dazu an einem solchen Tag! Saljutow wurde vor Ärger fast schlecht. Er sah, dass Philipp, während er mit Ravil sprach, die ganze Zeit zum Wintergarten hinüberschaute. Er hatte seinen Vater also bemerkt und legte es mit Absicht auf einen Skandal an.
    Hinter Saljutow ertönten laut schnelle Schritte, das Parkett knirschte.
    »Waleri Wiktorowitsch! Rasch!«
    Saljutow drehte sich abrupt um. Ein Wachmann der diensthabenden Schicht für den Spielsaal kam angerannt.
    »Was schreien Sie so?

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