Das Laecheln der Chimaere
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Übrigens war Kitajew wohl gar nicht so mitfühlend. Er war nur einfach nervös. Dieser Mord war wirklich eine Riesenschweinerei. Und auch wenn sie rein gar nichts damit zu schaffen hatten – es konnte trotzdem höchst unerfreuliche Auswirkungen auf ihre Geschäfte allgemein und das Schicksal des »Roten Mohn« im Besonderen haben.
Kitajews folgende Bemerkung hörte Saljutow nicht, er las sie automatisch von seinen Lippen ab, als jener sich umdrehte. Ebenso automatisch nickte er: Ja, ja, Gleb, du hast Recht. Ihm ging Verschiedenes durch den Kopf. Zum Beispiel, dass heute im Billardraum des »Roten Mohn« neue Tische aufgestellt wurden. Er hatte sich für die klassischen Modelle »Imperium« und »Favorit« entschieden.
Dann dachte er noch darüber nach, warum im Volksmund Gespenster und Geistererscheinungen so verrufen sind. Und ob einem wirklich in stürmischen Winternächten auf der Glinka-Brücke eine von den Toten auferstandene schwangere Braut in einem zerrissenen, halbverbrannten Schleier erscheinen kann. Und schließlich dachte er noch an Veronika, die schöne, teure Valuta-Prostituierte, mit der er die ganze letzte schwierige, schlaflose Nacht verbracht hatte, weil er s in den eigenen vier Wänden einfach nicht ausgehalten hatte.
Viereinhalb Stunden später verließ Saljutow das Gebäude der Staatsanwaltschaft. Hier, im Zentrum von Moskau, tobte der Schneesturm genauso wie auf den verschneiten Feldern an der Umgehungsstraße. Der in die Gassen zwischen Twerskaja und Petrowka eingezwängte Wind heulte wie in einem Ofenrohr. Saljutows Wagen, ein Jeep vom Typ »Toyota Cruiser«, war schon halb unter dem Schnee begraben. Rhythmisch bewegten sich die Scheibenwischer.
Als Kitajew seinen Chef erblickte, sprang er aus dem Jeep und riss beflissen die hintere Tür auf.
»Das hat ja schrecklich lange gedauert, Waleri Wiktorowitsch. Ich war schon in tausend Ängsten!«
Saljutow setzte sich ins Auto. Ja, nicht nur Kitajew, auch alle anderen im »Roten Mohn« zitterten schon seit drei Tagen vor Aufregung, seit diesem Telefonanruf um zehn Uhr morgens, als eine Stimme, die Saljutow nur zu gut kannte, ihn aufforderte, den Fernseher einzuschalten, um die neuesten Nachrichten zu hören.
An diesem Vormittag war nämlich ein hoher Beamter der städtischen Verwaltung auf dem Treppenabsatz vor seiner Wohnung ermordet worden. Sein Name war Saljutow wohl vertraut. Diesen Namen kannte sowohl in Moskau wie im ganzen Regierungsbezirk jeder, der in irgendeiner Weise mit Spielkasinos und Vergnügungsbetrieben zu tun hatte. Von diesem Beamten hing in der Branche vieles, wenn nicht fast alles ab, wenn es um Entwicklung, Erweiterung, Lizenzen und Investitionen ging. Und er war ein ausgesprochen unnachgiebiger Mensch. Jetzt hatte man ihn also auf der Schwelle seiner eigenen Wohnung erschossen, im Haus an der Moskwa (Das »Haus an der Moskwa« ist eines der größten Wohnhauser Moskaus, ein Komplex, den Stalin gegenüber dem Kreml für die Parteielite bauen ließ. Dort lebten viele berühmte Politiker, Wissenschaftler und Künstler. Bekannt wurde es unter diesem Namennicht zuletzt durch den gleichnamigen Roman von Juri Trifonow) , als er gerade aus der Tür trat, um zum Dienst zu fahren. Vom Mörder fehlte jede Spur.
»Hat man Ihnen viele Fragen gestellt, Waleri Wiktorowitsch?«, erkundigte sich Kitajew vorsichtig und wartete ab, bis die Scheibenwischer die Windschutzscheibe gänzlich vom Schnee befreit hatten.
»Es reicht. Mein Kopf zerspringt fast. Kann ich eine Tablette haben?«
Kitajew fragte Saljutow nicht: Und was wollte der Untersuchungsführer im Einzelnen wissen? Er reichte ihm das Medikament und ließ den Motor des Jeeps an.
Saljutow lehnte sich im Autositz zurück. Verflucht, wie viele unnötige, leere, verlogene, ausweichende Phrasen waren gewechselt worden. Dabei hätte man das ganze vier Stunden dauernde Gespräch mit dem Untersuchungsführer in wenige Worte fassen können: Wer hat ihn umgebracht? Und was wissen Sie, Waleri Wiktorowitsch, über diese Sache?
Aber der Untersuchungsführer hatte es vorgezogen, die Attacke wie ein Düsenjäger von weither anzugehen. Hatte ihn nach allem Möglichen gefragt, nach seinem Leben, seinem Geschäft, nach dem »Roten Mohn«, nach seinen Beziehungen zu den Beamten im Bürgermeisteramt und in der Stadtverwaltung im Allgemeinen und im Besonderen, nach den Schwierigkeiten und Hindernissen, auf die Saljutow bei der Realisierung des einen oder anderen Geschäftsvorhabens gestoßen
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