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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Mantel. »Ich nehme an, du bist von deiner Schwester ermächtigt, in ihrem Namen für die Entlassung zu unterschreiben, oder muß sie selber dafür noch vorbeikommen?«
    »Ich kann unterschreiben. Mein Gott, sie wird so froh sein, wenn die endlich auftauchen! Sie war praktisch außer sich, seitdem Gil und Helen verschwunden waren. Marie ist eine so wundervoll mitfühlende Frau, wissen Sie.
    Dermaßen hingebungsvoll in ihrer Hilfe für die Unglücklichen…«
    Der Arzt kritzelte etwas in ein Notizbuch. Dann blickte er auf und wies mit dem Kinn zu Gilgamesch. »Da wir von Hilfe sprechen, gibt es bei eurer Iranischen Freundschaftsliga psychotherapeutische Einrichtungen, Programme? Dieser Mann da hat dringend eine Therapie nötig.«
    »Im Ernst, Doktor?« sagte der Mann Gallagher mit ernster Stimme. »Meine Schwester wird das genauer wissen wollen. Könnten wir was Genaueres erfahren, Doktor?«
    »Ich gebe euch sein Printout mit. Aber es wird euch alles ganz klar, nachdem ihr nur ein paar Minuten lang zugehört habt, wenn er redet, wie tief gestört er ist. Diese Trojanische-Helena-Phantasien, der Gilgamesch-Wahn, ganz massiv und in wahrhaft zwanghaften Einzelheiten ausgearbeitet… Heißt er tatsächlich Gilgamesch, übrigens? Ja? Nun, das spielte offenbar dann eine gewisse Rolle für die Art seiner Störung. Im Grunde handelt es sich um eine Psychose mit Wahnvorstellungen, ein geradezu klassischer Fall, sehr tief verwurzelt. Er scheint ganz in einer fremden Welt zu leben, die er sich – soweit ich das in den zwei Tagen feststellen konnte, die ich ihn hier unter Beobachtung hatte – anscheinend ungewöhnlich tief und überzeugend entwickelt hat. Wenn ich nicht so höllisch überlastet wäre, würde ich gern eine Fallstudie über ihn schreiben. Aber natürlich, der alltägliche Arbeitsdruck hier, die Routine…« Er lutschte kurz an seinem Schreibstift. »Eigentlich frage ich mich schon auch, wie er überhaupt ins Land gekommen ist, so schwer gestört, wie der Mann ist. Flüchtling oder nicht, man müßte doch annehmen, daß er gewisse Schwierigkeiten gehabt haben müßte, überhaupt ein Visum zu bekommen, wenn man an die Vorschriften des Einwanderungsgesetzes von…«
    »Man machte aus Mitgefühl eine Ausnahme«, sagte Gallagher rasch. »Soweit ich informiert bin, waren diese Männer bedeutende Helden des Widerstands im Untergrund und in Anerkennung ihrer außergewöhnlichen Verdienste erhielten beide die Einreisebewilligung. Hier in Gil sehen Sie einen Mann, der die schlimmsten Folterungen durchgemacht hat, die die Henkersknechte des Ayatollah sich für ihn ausdenken konnten, und da haben wir das unvermeidliche tragische Ergebnis. Eigentlich soll er ständig in der Obhut seines Bruders Hinkadoo bleiben, verstehen Sie? Aber weil es diese blöde Verzögerung am John-Eff-Ka gab…«
    »Ich verstehe, verstehe.« Der Arzt kritzelte wieder in sein Papier.
    Gilgamesch schaute mit gerunzelter Stirn zu Helena hinüber, die sich an Enkidu schmiegte. Sie schien Mühe zu haben, ein Lachen zu unterdrücken. Er spürte, wie der Ärger in ihm wuchs. Erst hatte er stundenlang die Befragungen durch diese Zwerge über sich ergehen lassen müssen, diese kleinen ärgerlichen summenden Insekten – und jetzt auch noch dies, alle diese Lügen und Schwindeleien, diese langwierige und langweilige Diskussion über seine Person, als wäre er nichts weiter als ein erbarmenswürdiger Verrückter…
    Natürlich, das Ganze war weiter nichts als ein Manöver, um ihn hier herauszuholen, das sah er ganz klar, aber dennoch – dennoch – wie entwürdigend, dabeisitzen zu müssen wie ein geduldiges Schaf, während dieser ganze dünne Quark über ihn verrührt wurde…
    Bleib still! befahl er sich. Laß diesen Gallagher sagen, was hier nötig ist.
    Doch es war einfach zuviel. Weshalb sollte er gezwungen sein, den Verrückten zu spielen, um seine Freiheit wiederzugewinnen? Er konnte nicht länger schweigen. So sehr er sich bemühte, die Worte brachen einfach aus ihm heraus: »Dieses Geschnatter beginnt mein Ohr zu beleidigen. Ich wünsche, daß das aufhört, und daß man uns sofort und ohne weitere Torheiten entläßt!«
    »Aber, Bruder, Bruder!« sagte Enkidu mit einer honigsüßen Stimme, wie man sie Kindern gegenüber benutzt. »Es ist schon alles in Ordnung, Bruder! Du kannst schon sehr bald von hier fort.« Und Gilgamesch verspürte einen kurzen heftigen Kick gegen seinen Fußknöchel. »Es geht nur noch um ein paar unbedeutende Formalitäten, um

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