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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren
Autoren: Anna Paredes
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Körperfülle die Hand. Yahaira hatte eine Mutter, deren Vorfahren aus Spanien stammten, und einen Indiovater. Sie war mittlerweile sechzig Jahre alt und hatte bis vor Kurzem auf der Hacienda Margarita in der Küche gearbeitet. Doch sie wollte ihren Ruhestand nicht bei einem ihrer Söhne und dessen Familie verbringen, sondern in der Nähe der Plantage bleiben, die sie als ihr eigentliches Zuhause betrachtete. Yahaira würde ebenfalls in der Casa Santa Maria wohnen und sich als Köchin und Mutterersatz betätigen. Für Dorothea ein Glücksfall, denn so hatte sie das beruhigende Gefühl, dass die jungen Frauen nicht auf sich allein gestellt waren, sondern eine Beschützerin in ihrer Nähe hatten.
    »Sie können sich nicht vorstellen, wie viel mir diese neue Aufgabe bedeutet, Señora Ramirez. Ich fühle mich nämlich zu lebendig, um meinen Enkeln Gutenachtgeschichten vorzulesen.« Dabei lachte sie und zeigte ihre strahlend weißen Zähne.
    Teresas Kind kam während der Nacht zur Welt. Yahaira half bei der Geburt eines Jungen, der die schwarzen Augen und die dunkel getönte Hautfarbe der Indios hatte. Vielleicht machte es dies für die ledige Mutter einfacher, irgendwann doch noch einen Ehemann zu finden, so hoffte Dorothea. Gerührt sah sie zu, wie zärtlich und behutsam Teresa ihren kleinen Sohn an die Brust legte. Obwohl er keineswegs ein Kind der Liebe zu nennen war. Um wie vieles besser erging es ihr selbst als Ehefrau und Mutter, die sich ihre Kinder sehnlichst gewünscht hatte. Noch dazu bei einem Leben ohne finanzielle Nöte.
    Mehrmals in der Woche besuchte Dorothea die Casa Santa Maria, um nach dem Rechten zu sehen. Die Mädchen hatten sich die Arbeit aufgeteilt. Teresa zerkleinerte den getrockneten Ton zuerst mit dem Hammer, dann im Mörser. Danach wurde die Erde gesiebt, um störende Steine zu entfernen. Anschließend vermischte sie das feine Tonpulver mit Sand und Wasser und stampfte das Gemisch mit den Füßen zu einer geschmeidigen Masse. Ihr Kind hatte sie sich mit einem Tragetuch vor den Leib gebunden, und der Kleine machte dabei einen überaus zufriedenen Eindruck.
    Raura saß an der Töpferscheibe und formte mit geschickten Händen Krüge, ebenso Vasen, Schalen und Tassen. Das junge Mädchen stammte von den Coclé-Indianern ab, die seit Jahrhunderten Töpferwaren herstellten. Und Silma, Teresas Freundin, die nach anfänglichem Zögern ihrem gewalttätigen Ehemann davongelaufen war, erklärte sich für das Dekor zuständig.
    Fasziniert beobachtete Dorothea, wie sie weiße Farbe auf die Gefäße auftrug, die zuerst getrocknet und danach mit Maiskolbenblättern und Lederstücken poliert wurden. Dann malte Silma mit einem dünnen Pinsel in roter und schwarzer Farbe Motive, wie sie schon Jahrhunderte zuvor ihre Vorfahren gestaltet hatten. Jaguare, Krokodile, Affen, Tukane sowie Ornamente, deren Bedeutung sie zwar nicht genau kannte, die ihr aber von den Tellern und Tassen vertraut waren, die ihre Großmutter nach überlieferten Vorlagen angefertigt hatte. Danach mussten die Tongefäße wieder mehrere Tage lang trocknen, bevor sie im Ofen etwa eine Dreiviertelstunde lang gebrannt wurden.
    »Der Geist meiner Vorfahren soll in diesen Stücken weiterleben«, erklärte Raura und schenkte Dorothea eine winzig kleine Schildkröte, deren Panzer sie mit geheimnisvollen Mustern verziert hatte. »Die Schildkröte steht bei uns für Unsterblichkeit. Sie sollen ewig leben, Doña Dorothea, und ganz vielen Menschen helfen.«
    Gerührt nahm Dorothea das kleine Kunstwerk entgegen. Von den drei Schützlingen war ihr Raura die liebste, vermutlich weil sie die Jüngste und Schutzbedürftigste war und die traurigsten Augen hatte.
    Nachdem Silma und Raura an einem Samstag kurz nach Sonnenaufgang mit einem Handkarren zum Markt nach San José aufgebrochen waren, um in Erfahrung zu bringen, ob ihre Waren wohl Käufer fänden, kehrten sie um die Mittagszeit aufgeregt und mit erhitzten Wangen zur Casa Santa Maria zurück. Bis auf eine kleine Schale hatten sie sämtliche Stücke verkauft. Das Gleiche geschah in den darauffolgenden Wochen. Die Kunden, hauptsächlich europäische Einwanderer, waren fasziniert von den exotischen Motiven und deren sorgfältiger Ausführung. Einige bestellten sogar Vasen oder Krüge im Voraus, manche äußerten auch Wünsche bei der Auswahl der Farben.
    Der Erfolg spornte die Mädchen an. Und immer wenn Dorothea überraschend bei ihnen erschien, hörte sie, wie in der Werkstatt gelacht und gesungen wurde.
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