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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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nachdenken, ob die Freundin vielleicht auch in einem anderen Punkt recht hatte. Dass sie sich nämlich einen Mann fürs Herz suchen sollte. Doch zunächst galt es, die neuen Aufgaben in Angriff zu nehmen. So voller Kraft und Elan hatte Dorothea sich schon lange nicht mehr gefühlt.

Juni 1861 bis Mai 1862
    Das gelb gestrichene Haus mit der dunkelbraunen Eingangstür war ihr schon vor einiger Zeit aufgefallen. Es lag auf dem Weg von der Hacienda Margarita nach San José, etwa fünfzehn Minuten Kutschfahrt von ihrem Zuhause entfernt. Das Gebäude war bereits in die Jahre gekommen, wirkte aber liebevoll gepflegt. Mit einer dunkelvioletten Bougainvillea am Eingang, die sich bis unter das Dach rankte, und zwei Kräuterbeeten neben der Veranda. Bis vor geraumer Zeit hatten Kinder im Garten gespielt, dann war es eines Tages still geworden. Offenbar waren die Bewohner ausgezogen. Und plötzlich hing ein Schild an der Haustür: Zu verkaufen.
    Sie erzählte Antonio davon und bat ihn, sich nach den Bedingungen zu erkundigen. Er brachte in Erfahrung, dass die Besitzer, eine Familie mit fünf Kindern, aus Argentinien stammten und dorthin zurückgekehrt waren. Das fünfzig Jahre alte Haus befand sich in gutem Zustand, nur an dem mit Palmstroh gedeckten Dach mussten einige undichte Stellen ausgebessert werden. Antonio schlug vor, das Haus gemeinsam zu besichtigen.
    Dorotheas Herz schlug höher, als sie das helle und freundliche Innere sah. Mit einer Diele, einer Küche und fünf Zimmern. Somit genau das, was sie sich vorgestellt hatte. Sie trat in den Garten hinaus und schritt den Weg bis zum Nachbargrundstück ab. Ja, hier gab es genug Platz, um den ehrgeizigen Plan in die Tat umzusetzen, der mittlerweile in ihr gereift war. In einem Anbau wollte sie eine kleine Werkstatt einrichten und daneben einen Brennofen aufstellen. Die jungen Indigenas sollten Krüge, Vasen und Schalen in der Tradition ihrer Vorfahren herstellen und auf dem Markt in San José verkaufen. Wobei sie darauf spekulierte, dass besonders die europäischen Einwanderer Gefallen an solch exotischen Gegenständen fänden. Anders als die Ticos, die aus Europa importierte Waren bevorzugten. Doch zunächst wollte sie abwarten, ob das Haus tatsächlich zu erwerben war.
    »Mir sind seltsame Gerüchte zu Ohren gekommen«, bemerkte Pedro und warf Dorothea einen strafenden Blick zu. Die Familie hatte gerade das Abendessen beendet, die Kinder lagen bereits im Bett.
    »Tatsächlich, was erzählt man sich denn so?«, fragte Dorothea in heiterem Plauderton.
    »Ich will diese Ungeheuerlichkeiten gar nicht alle wiederholen. Sag mir nur eins: Stimmt es, dass du straffällige Indianerfrauen vor der Justiz verstecken willst?«
    Dorothea strich mit den Fingerspitzen über ihre sorgsam zusammengefaltete Serviette und lächelte betont freundlich. »Da kann ich dich beruhigen, Schwiegervater – es stimmt nicht.«
    Pedro rollte mit den Augen, die Ader auf seiner Stirn schwoll bedrohlich an. Ungeduldig trommelte er mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. »Also, was hast du dann vor, heraus mit der Sprache! Ich will hier nicht ewig herumsitzen.«
    Angstvoll und mit eingezogenen Schultern blickte Isabel zwischen Mann und Schwiegertochter hin und her, hätte sich offenbar am liebsten unter dem Tisch verkrochen.
    Doch Dorothea ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Das will ich gern erklären. Ich werde ein Haus zu einer Zufluchtsstätte für junge Indigenas machen, die unschuldig in Not geraten sind. Die niemanden haben, der sich für sie einsetzt. Deren Stimme man nicht hört, weil sie vor dem Gesetz wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.«
    »Unschuldig … dass ich nicht lache. Diese Indianer sind unzivilisierte Wilde, die haben doch alle etwas auf dem Kerbholz.«
    »Bisher habe ich einen anderen Eindruck gewonnen, Schwiegervater.«
    Pedro schlug mit der Faust auf den Tisch. »So etwas höre ich mir in meinem eigenen Haus nicht an! Antonio, kannst du deiner störrischen Frau nicht einmal die Leviten lesen? Oder willst du dich als Pantoffelheld lächerlich machen?«
    Bisher hatte Antonio das Wortgefecht zwischen seinem Vater und seiner Frau ohne Regung verfolgt. Doch nun kräuselte er die Lippen und warf Dorothea einen beruhigenden Blick zu. Seine Antwort kam scharf und bestimmt. »Den letzten Satz habe ich überhört, Vater. Meine keineswegs störrische, sondern höchst einfühlsame Frau hat mir ihren Plan erläutert. Ich gebe zu, ich hatte zunächst Bedenken. Aber dann musste

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