Das Land zwischen den Meeren
Schneiderin Vorhänge nähen konnte. Unterdessen überwachte Teresa den Aufbau des Brennofens. Er bestand aus Pferdemist, Erde und Ziegeln, seine Form erinnerte an einen riesigen Bienenkorb. Tische, Bänke und Töpferscheiben mussten für die Werkstatt besorgt werden, außerdem Lehm und Farben, Pinsel und Polierwerkzeuge.
Dorotheas Schwiegervater hatte schon seit Tagen nicht mehr mit ihr gesprochen. Isabel blieb einsilbig, konnte sich jedoch nicht länger zurückhalten, als sie eine Einladung zur Taufe des jüngsten Enkels des Innenministers in Händen hielt.
»Dorothea, dein Verhalten ist ganz und gar unschicklich für eine Frau unseres Standes. Wir möchten uns Getuschel und unangenehme Blicke ersparen. Deswegen werden wir die Festlichkeit ohne dich besuchen. Währenddessen kannst du zu Hause in Ruhe darüber nachdenken, welcher gesellschaftliche Höhepunkt dir entgeht.«
»Wie du meinst, Schwiegermutter.« Dorothea senkte den Blick und heuchelte Enttäuschung. Doch innerlich jubelte sie, weil ihr ein todlangweiliger Abend erspart blieb. »Sag den Gastgebern bitte, ich sei – unpässlich.«
Die Renovierung des Heimes erforderte ihre ganze Zeit und Aufmerksamkeit. Weil an diesem Nachmittag die Vorhänge für die Zimmer angepasst werden sollten, konnte sie Olivia nicht zur Geburtstagsfeier ihrer Schulfreundin Inés begleiten. Olivia war geradezu begeistert, ohne lästige Begleitung der Mutter feiern zu dürfen, und ließ sich stolz und hoch erhobenen Hauptes vom Kutscher chauffieren.
Nahezu täglich wurden Einrichtungsgegenstände geliefert: Betten, Stühle und Kleidertruhen, weiterhin Töpfe, Pfannen und Geschirr. Am Abend fiel Dorothea müde und glücklich ins Bett, konnte den nächsten Morgen kaum erwarten, um sofort nach dem Frühstück nach San José zu fahren und dort Bettwäsche und Küchentücher auszusuchen oder Spiegel und Waschschüsseln zu kaufen.
Nachdem feststand, dass das Haus Anfang August bezogen werden konnte, suchte Dorothea Pfarrer Jakob Lamprecht auf und bat ihn, das Domizil einzuweihen.
»Ich fühle mich geehrt, Señora Ramirez. Es wird meine letzte Amtshandlung sein, bevor ich mich aus Altersgründen in ein Kloster an der Grenze zu Nicaragua zurückziehe«, erklärte der Geistliche und zündete sich eine Pfeife an, die er mit dem gleichen Genuss schmauchte wie einst sein älterer Bruder in Köln.
»Sie sind nicht nur eine schöne Frau – wenn ich mir als Geistlicher diese Bemerkung erlauben darf –, sondern auch eine gütige. Haben Sie sich schon einen Namen für Ihr Heim überlegt?«
»Nein, daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht.«
»Hm, was halten Sie von Casa Santa Maria? Zu Ehren der seligen Mutter unseres Herrn.«
»Ja, dieser Name gefällt mir gut.«
Pfarrer Lamprecht lächelte zufrieden. Dann griff er zu einem Umschlag auf seinem Schreibtisch und entfaltete einen Brief. »Ich würde Ihnen gern ein junges Mädchen aus meiner Gemeinde ans Herz legen, liebe Señora. Es wäre wunderbar, wenn Sie Raura bei sich aufnehmen könnten. Ihre Siedlung wurde vor drei Monaten von einem todbringenden Fieber befallen. Unzählige Tote waren zu beklagen. Dieses Mädchen hat als Einzige ihrer Familie überlebt.«
Und so kam es, dass am Tag der Einweihung drei junge Bewohnerinnen in die Casa Santa Maria einzogen, deren Gesichter vor Freude und Aufregung glühten.
»Allmächtiger Gott, segne dieses Haus und alle, die hier ein- und ausgehen. Halte deine Hand schützend über sie und lasse sie ihr Werk in Frieden verrichten und dich in deiner ewigen Güte preisen.« Pfarrer Lamprecht schritt von Raum zu Raum, machte das Kreuzeszeichen und versprühte mit einer kleinen Kelle Weihwasser.
Antonio hatte es sich nicht nehmen lassen, Dorothea zu begleiten. Sie hatten die Nachbarn in der Straße eingeladen, und so saß eine kleine Gesellschaft in der Werkstatt, aß gefüllte Empanadas und frische Früchte, lachte und sang. Teresa trug stolz ihren kugelrunden Bauch vor sich her, sah strahlend und wunderschön aus.
»Ich bin stolz auf dich, Dorothea. Man spürt schon heute, dass in diesem Haus ein guter Geist herrscht.« Antonio saß neben seiner Frau auf der Bank und wirkte so gelöst und unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Alle Frauen erlagen seinem Charme, und Dorothea nahm die schwärmerischen Blicke als Kompliment für ihren guten Geschmack.
»Der gute Geist sitzt sogar leibhaftig neben uns.« Sie drückte einer grauhaarigen Frau mit funkelnden kohlschwarzen Augen und immenser
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